Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
seiner Beschämung und Furcht enthielt seine Stimme immer noch eine gebieterische Schärfe.
Sabrina nickte langsam und streckte die Hand nach der Türklinke aus. »Sie werden mir nichts antun, Daigh, das weiß ich mit absoluter Sicherheit. Egal, was Ard-siúr sagt.«
Dann hatte man sie also schon vor ihm gewarnt? Trauer berührte einen zu Eis erstarrten Ort in ihm, und fast wünschte er, er würde sich nie erinnern. Wie wunderbar wäre es, wenn er seine Vergangenheit ablegen könnte wie eine Haut, aus der man hinausgewachsen war! Er könnte jemand Neues werden. Jemand Ehrenwertes. Jemand, der Sabrinas Vertrauen verdiente.
Sabrina taumelte in den feuchten, klirrend kalten Nebel der Nacht hinaus. Nach Atem ringend, lehnte sie sich an eine Säule und ließ die eisige Luft ihre konfusen Gedanken beruhigen, die von atemlosem Verlangen, das ihr Herz zum Rasen brachte, über alle möglichen anderen Emotionen bis hin zu beängstigendem Schrecken wechselten.
Ihr war schwindlig, und sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Genau wie vor ein paar Minuten, als sie sich nach dem zerbrochenen Wasserkrug gebückt und glasklare Bilder von sich und Daigh vor Augen gehabt hatte, die sie jetzt noch vor Verlegenheit erröten ließen. Sie hatte sich bei Handlungen gesehen, zu denen sie sich noch nie hatte hinreißen lassen. Weder von Daigh noch irgendeinem anderen Mann. Trotzdem war es sehr real gewesen. Einen Augenblick nur, aber sie hatte seine Hände auf ihrer Haut genossen, sich in dem Verlangen in seinen Augen gesonnt und ihr eigenes scharfes Einatmen gehört, als er in sie eingedrungen war.
Hatte er sie hypnotisiert oder irgendeinen Verführungszauber bei ihr angewandt? Erklärte das die seltsamen Bilder und eigenartigen Gefühle, die er in ihr hervorrief? Oder suchte sie nur nach Ausreden, um ihr eigenes schamloses Verhalten zu rechtfertigen? Sie hatte ihm fast gestattet, sie zu küssen. Sie hatte so sehr gewollt, dass er sie küsste.
Die Gedanken rasten durch ihr Hirn, einer jagte den anderen in einem endlosen Kreislauf völliger Verwirrung. Ihr drehte sich der Magen um, als ihre Sicht sich trübte und merkwürdige, speerähnliche Lichter und Farben in Schwarz, Gold, Rot und Violett vor ihren Augen explodierten.
Der Nebel verdichtete sich, erstickte die Geräusche und löschte alles um sie herum aus, einschließlich der Säule, an der sie lehnte. Sabrina hielt sich daran fest und hoffte, dass sie nicht das Bewusstsein verlor und die kalte Luft ihr helfen würde, Klarheit zu gewinnen, aber es war der süßliche Geruch von feuchtem Laub und Rauch, der ihr in die Nase stieg.
Als der Nebel sich auflöste, stand sie auf einer Lichtung und umarmte eine mächtige, moosbewachsene Eiche, deren hoch aufragende Äste sich mit denen von Hunderten und Tausenden anderer Bäume verschränkten, die alle ebenso massiv waren wie diese Eiche. Zu ihrer Linken wand sich ein Pfad zwischen den Bäumen hindurch, und sie hörte Wasser über Steine plätschern und das Klirren des Zaumzeugs eines angebundenen Pferdes. Ein Mann trat in das gesprenkelte Licht hinaus. Daigh. Auch wenn er im Gegensatz zu seinem üblichen angespannten Herumtigern mit leichten, ungezwungenen Schritten ging.
Sabrina trat vor, und er schloss sie so fest in die Arme, dass sein warmer Atem ihre Wange streifte. Und dann kam er, der Kuss, auf den sie gewartet hatte. Ihr Magen vollführte einen Satz, das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er sich vorbeugte und …
Ein kalter Windstoß fuhr ihr ins Gesicht, und ein eisiger Regen ließ sie frösteln. Sabrina stand ganz allein im Dunkeln. Statt des urzeitlichen Waldes erhoben sich nun die hohen Mauern des Klosterhofs um sie. Der Nebel hatte sich zu feinen Dunstschleiern gelichtet, die ihr kalte Schauder über den Rücken jagten und sie ängstigten, sie aber auch mit einer unerwarteten, schon fast schmerzlichen Sehnsucht nach jener Waldlichtung erfüllten.
Beschwor Daigh diese Visionen in ihr herauf? Oder war sie es selbst?
Sie blickte zu den erleuchteten Fenstern von Ard-siúrs Arbeitszimmer hinauf und rief beinahe um Hilfe. Sie brauchte Schwester Ainnir. Ard-siúr. Jemand Älteren, Klügeren und Erfahreneren. Aber Daigh hatte sie gebeten zu schweigen … mehr als nur gebeten. Er hatte es von ihr verlangt. Und das war ja auch kein Wunder. Die Schwestern hatten über sein weiteres Verbleiben unter ihnen schon heftig debattiert. Noch mehr von seinem bizarren Verhalten, und sie würden nicht länger zögern, ihn fortzuschicken.
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