Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
bisher beste Informationsquelle, die sie zu den seltsamen Halluzinationen, die sie gehabt hatte, gefunden hatte. Nicht, dass das noch wichtig wäre. Daigh war verschwunden. Was immer sie veranlasst hatte, in seine Erinnerungen einzutauchen, würde nun, da er fort war, ohnehin aufhören. Warum also ihre letzten Stunden im Kloster mit wissenschaftlichen Wälzern verbringen, sich mit uralten Texten herumschlagen und unentzifferbare Hieroglyphen zu enträtseln versuchen?
Das war die Frage, über die sie sich wirklich Gedanken machen sollte.
Sabrina stützte das Kinn auf die Hand, blickte zu dem schwachen Licht auf, das durch die schmalen, hochgelegenen Fenster fiel, und versuchte, sich in eine Erinnerung zu stürzen, als spränge sie von den Klippen unterhalb Belfoyles. Doch weder begann sich der Raum um sie zu drehen, noch wurden die Bücherstapel und Regale von einem feuchten, verregneten Eichenwald verdrängt. Und auch kein Daigh presste den Mund auf ihren in einem Kuss, der die Welt zum Stillstand brachte und ihr Innerstes in Flammen setzte.
Sabrina seufzte. Dem Himmel sei Dank!
Und schloss das Buch.
Die Nacht brach herein. Das Feuer brannte bis auf die Glut herab und kühlte zu grauer Asche ab. Die Temperatur sank mit jeder Stunde, bis Daighs Atem die kühle Luft vernebelte und sein Körper sich vor Kälte verkrampfte.
Blooms Schiff lief am nächsten Morgen aus. Daigh hatte nur noch Stunden, bevor er die Chance vertan haben würde, dem Mann zu folgen. Um Máelodor zu finden und etwas überschauen zu können, was eine immer gefährlicher werdende Verschwörung zu sein schien.
Er versuchte aufzustehen, ließ sich aber mit einem gequälten Stöhnen wieder zurückfallen. Seine Nerven waren schmerzhaft angespannt, und selbst das Atmen kostete ihn fast mehr Anstrengung, als er aufbringen konnte.
Deshalb suchte er den Trost des Schlafs. Das Einzige, was er damit jedoch erreichte, waren scheußliche Träume, von denen ihm so übel wurde, dass er sich erbrechen musste. Doch wenn er wach war, sah er nur wieder das gerötete, lüsterne Gesicht des Mannes, der sich Lancelot nannte, und hörte wieder seine grauenerregenden Schilderungen der Folterqualen, die Brendan Douglas erwarteten.
Sabrinas Bruder. Einen Mann, dem er nie begegnet war, dem aber vom Schicksal ein Tod bestimmt war, wie er grausamer nicht sein könnte.
Wenn der Mann, der sich Lancelot nannte, Brendan Douglas suchte, könnte er auch Sabrina ins Auge fassen, um sie als Schachfigur bei der Jagd nach ihrem Bruder einzusetzen. Doch solange sie bei den bandraoi blieb, würde wahrscheinlich nichts ihr etwas anhaben können. Nicht einmal Lancelots üble Kräfte.
Andererseits jedoch war auch Daigh in die geheiligten Hallen ihres Klosters eingedrungen – und nicht nur er, sondern auch Bloom. Es wäre nicht schwer, Sabrina von den anderen zu trennen oder sie irgendwo allein anzutreffen und gefangen zu nehmen.
Daighs Herz verkrampfte sich, als jedes Bild, das in seinem Kopf erschien, noch erschreckender als das vorangegangene war.
Er bezwang die Angst, indem er sich auf die Gesprächsfetzen konzentrierte, die er mitbekommen hatte, und die Lücken zu füllen versuchte. Bloom und Lancelot hatten von einem Tagebuch gesprochen. Von Kilronans Tagebuch.
Das erinnerte Daigh an seine erste Unterhaltung mit Sabrina.
Sie fragten jemanden nach einem Tagebuch. Verlangten, dass er es Ihnen gibt.
Er schien es bekommen zu haben. Doch zu welchem Preis?
Ein Mann mit hassverzerrtem Gesicht … Ein auf ihn herabfahrendes Schwert. Ein Kampf, den er fast verloren hätte. Und die tränenreichen Bitten einer Frau um Gnade. Bruchstückhafte Erinnerungen stiegen auf wie Haie zum Fressen und riefen Grauen und Übelkeit in Daigh hervor. Er rollte sich zu einem Ball zusammen, bis es vorüberging.
Schwarz verblasste zu Grau, als die Morgendämmerung nahte, und in schier unerträglich kleinen Schritten kehrte seine Kraft zurück. Zuerst rollte er sich auf die Knie, wartete einen Moment und zog sich auf die Beine. Er straffte sich trotz der Stiche in seinen viel zu angespannten Muskeln.
Das Tagebuch des Earl of Kilronan hatte ihnen verraten, wo sie nach der Rywlkoth-Tapisserie suchen mussten. Nach einem Bildteppich, der sich bei den bandraoi befand und den er zuletzt in Ard-siúrs Arbeitszimmer hatte hängen sehen.
Sabrina.
Lady Sabrina.
Tochter und Schwester der Earls of Kilronan.
Brendan Douglas’ Schwester.
Novizin des Ordens des Hohen Danu .
Das Puzzle setzte sich zusammen
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