Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
war so freundlich, mir diese Sachen zu schicken.«
Die Tante zog die aufgemalten Augenbrauen hoch. »Hat sie das? Dann muss ich der Frau zugestehen, dass sie einen … nun ja, etwas schlichten Stil hat, den einige ›geschmackvoll‹ nennen würden.«
Da Tante Delia ein violett und gelb gemustertes Kleid trug, das sich um ihren üppigen Busen und ihre ausladenden Hüften spannte, konnte Sabrina nur ihrem Glücksstern danken, dass ihre Schwägerin sie mit einer angemessenen Garderobe ausgestattet hatte. Wäre Sabrina auf die Hilfe ihrer Tante angewiesen gewesen, sähe sie jetzt wahrscheinlich wie eine Kreuzung zwischen einem Blumengarten und einem Zirkuszelt aus.
»Sind mein Bruder und seine Frau hier?« Bitte sag, dass sie hier sind!, flehte Sabrina im Stillen. Sie wusste nicht, wie lange sie dieses Verhör noch ertragen würde.
»Nein, Liebes. Ich habe heute Morgen einen Brief erhalten. Sie konnten leider nicht verhindern, dass sie aufgehalten wurden, werden aber alles in ihrer Macht Stehende tun, um so bald wie möglich hier zu sein. Und das möchte ich auch hoffen. Ich musste meine Reise nach Bray schon verschieben und habe nicht die Absicht, meine Pläne erneut zu ändern.«
Sabrinas Hoffnung sank. Der liebe Himmel wusste, wie lange sie hier noch allein in der Gesellschaft ihrer Tante festsaß. Und sie hatte sich Sorgen gemacht, mit der frischgebackenen Lady Kilronan auskommen zu müssen! Was auch schon schlimm genug gewesen wäre. Doch das hier schien sich zu etwas noch weitaus Entnervenderem zu entwickeln.
»Apropos Familie. Ich muss dir unbedingt den neuesten Skandal erzählen.« Tante Delia machte es sich gemütlich wie eine Henne auf ihrem Nest. »Miss Rollings-Smith hat geschworen, dass sie eher als alte Jungfer sterben wird, als jemand anderen als deinen Cousin Jack zu heiraten.«
»Aber er ist tot.«
»Natürlich ist er das. Und wie kläglich das berühmte O’Gara-Glück bei dieser traurigen Gelegenheit versagt hat! Ich wusste ja immer, dass der Junge ein unrühmliches Ende finden würde, so labil und übermütig, wie er war.«
Ein makabres Vergnügen spiegelte sich im Gesicht der Tante wider. Sie gab nicht einmal vor, eine Träne für den Sohn ihrer Schwester zu vergießen. Sabrina konnte sich vorstellen, wie Tante Delia auf Aidans kürzliche Begegnung mit dem Tod reagiert haben mochte. Wahrscheinlich hatte sie Wetten auf sein Überleben abgeschlossen.
»Das dumme Ding dramatisiert bloß alles«, sagte sie mit einem affektierten Lächeln. »Sie war schon immer eine, die große Gesten liebte. Seit dem Frühjahr trägt sie Schwarz, was sie schrecklich teigig aussehen lässt. Und es ist ja nicht mal so, als wären dein Cousin und sie richtig verlobt gewesen. Es war ein Wunsch seiner Eltern, doch beileibe kein fait accompli . Jedenfalls begann das Mädchen, nachdem Jacks Tod bekannt geworden war, die tragische Witwe zu mimen, und führt sich auf, als hätten sie sich schon von Kindheit an leidenschaftlich geliebt.« Sie beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem bühnenreifen Flüstern. »Ich persönlich glaube nicht, dass Jack O’Gara fähig war, irgendetwas mehr zu lieben als die Flasche und das Glücksspiel.«
Sie sprach, als verriete sie ein lang gehütetes Familiengeheimnis, ohne den Umstand zu beachten, dass sie in den letzten fünf Minuten nur Kritik an dem lieben Verstorbenen geübt hatte.
Sabrina hatte Jack nicht gut gekannt. Er war ungefähr so alt wie Aidan gewesen und hatte seine schüchterne jüngere Cousine bei seinen gelegentlichen Besuchen nie beachtet. Was auch kein Wunder gewesen war, da sie immer ein bisschen Angst vor dem großen, gut aussehenden, pfiffigen Jungen mit dem tollkühnen Hang zu Problemen gehabt hatte. Sie hatte stets mit scheuem Schweigen auf ihn reagiert und sich davongestohlen, wenn er einen Raum betreten hatte. Es war gut möglich, dass Jack nicht einmal bewusst gewesen war, dass Aidan und Brendan eine Schwester hatten.
Doch Aidan und er hatten sich sehr nahegestanden, und sein Tod hatte ihren Bruder hart getroffen. Seine Briefe im Laufe des Sommers waren voller Gewissensbisse und Selbstvorwürfe gewesen, obwohl Sabrina sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum er sich die Schuld daran geben sollte, dass Jacks Kutsche von Straßenräubern überfallen worden war.
»Hörst du mir zu, Sabrina?«
Nein . Aber sie zwang sich, ihrer Tante wieder Gehör zu schenken. »Entschuldige bitte, Tante Delia! Ich glaube, die Reise fordert nun doch ihren
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