Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Máelodor die Rolle überreichte.
Máelodor nahm sie an sich, löste das Band, das sie zusammenhielt, und breitete den Wandbehang auf seinem Schreibtisch aus.
»Die Tapisserie war dort, wo Sie sie vermutet hatten«, erklärte Bloom. »Bei den bandraoi in Glenlorgan.«
Das einst weiße Fasergewebe wies heute die Stockflecken von Jahrhunderten auf. Einige Stellen waren rostbraun, während andere zu einem dumpfen Gelb mit grauen Flecken verblasst waren. Eine Ecke des Wandteppichs war beschädigt, die Fäden zerrissen und der Stoff zerfetzt. Aber die Abbildungen darauf hatten nichts von ihrer Farbenpracht und Lebendigkeit verloren.
Eine in wunderschönen Schattierungen von Purpurrot, Gold, Königsblau und Smaragdgrün dargestellte Szene zeigte eine Bahre mit sechs Trägern in voller Rüstung und mit erhobenen Visieren, die in tiefer Trauer den Kopf senkten. Einige grau verhüllte Getreue folgten der Bahre, auch sie weinten. Einer war auf die Knie gefallen, ein anderer stehen geblieben, um ihm Trost zu spenden. Vor ihnen war der Eingang zu einer Grabstätte im Fels zu sehen. Eine der grau verhüllten Gestalten stand neben der offenen Höhle; er hatte die Arme zu einem Stern erhoben, der in einem tiefen Blau auf die Bahre herabschien.
Eine exquisite Arbeit. Ein von den uralten Händen, die es bestickt hatten, zum Leben erwecktes Kunstwerk. Ein unschätzbar kostbares historisches Artefakt der Anderen .
Máelodor packte das grobe Leinen, warf es in das Feuer im Kamin und richtete seine ganze Wut auf den Mann, der ihm wie erstarrt vor Entsetzen gegenüberstand. »Sie verdammter Narr! Hohlköpfiger Sohn der Hure eines Bastards! Sie haben mir den falschen Wandbehang gebracht!«
Kapitel Elf
D ie Kathedrale erhob sich grimmig vor dem bewölkten Himmel, oder vielleicht versuchte sie sich auch nur zwischen dem wüsten Durcheinander schmutziger Gassen und schäbiger Behausungen zu verbergen, von denen sie umgeben war. Ein Windstoß zerrte an Sabrinas haubenartigem Hut und bewegte ihre Röcke, als sie sich mit dem Rest von Tante Delias Besichtigungsgruppe über den schlammigen Boden dem Eingang näherte.
Vor ihnen gingen die Trimble-Schwestern Arm in Arm mit den Herren, die eingeladen worden waren, die Gruppe zu vervollständigen. Die drei albernen Schwestern klimperten mit den Wimpern, tänzelten und lachten affektiert wie erfahrene Veteraninnen. Generäle verstanden weniger von Strategie und Taktiken als diese jungen Frauen. Die Männer hatten keine Chance gegen sie.
Tante Delia führte ihre Schützlinge hinein, wo ihnen ein gehetzt wirkender junger Mann in mottenzerfressenem Überzieher und oft geflickten Socken entgegeneilte.
»Mr. Munsy hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns herumzuführen«, zirpte Tante Delia. »War das nicht nett von ihm?«
Der junge Kurat verbeugte sich lächelnd.
Die Schwestern kicherten.
Sabrina verdrehte die Augen und versuchte, so zu tun, als kenne sie sie nicht.
Die Gruppe folgte dem stolzen Vortrag des aufgeregten jungen Hilfsgeistlichen, dessen dröhnende Stimme so gar nicht zu seiner vogelscheuchenartigen Schlaksigkeit zu passen schien. »… ursprünglich von den Dänen erbaut …«
Glenlorgans schlichte Kapelle war nicht mit der Grandiosität dieser Kathedrale zu vergleichen, aber die Gerüche in beiden Gotteshäusern waren ähnlich. Es roch nach Kerzenwachs, Weihrauch und feuchter Wolle. Vergleichbar waren auch der von enormem Alter und großem Glauben herrührende Frieden und die Klarheit schaffende Atmosphäre, die Sabrina einhüllten wie eine warme Decke oder tröstliche Umarmung und die ihr die Last der Unsicherheit, Nervosität und das unaufhörliche boshafte Geschnatter Tante Delias erleichterten und sie in ihrer Entschlossenheit bestärkten, so bald wie möglich zu ihrem Orden zurückzukehren. Aidan würde nicht gewinnen. Nicht in dieser Frage. Sie, Sabrina, war nicht mehr das gefügige Kind, das er in Erinnerung hatte, und sie dachte nicht daran, sich herumschubsen zu lassen wie ein Bauer auf einem Schachbrett.
»… älteste Gebäude in Dublin …«
Über ihnen übten die Chorknaben, die von einer kratzigen Violine begleitet wurden, ihre Tonleitern.
»… der walisisch-normannische Strongbow …«
»Ich glaube, unser enthusiastischer Führer wird uns am Ende seines Vortrags auch noch einer Prüfung unterziehen.«
Sabrina warf einen überraschten Blick zu dem Herrn, der lautlos neben sie getreten war. Groß, schlank und von jugendlicher Frische, strahlte Mr.
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