Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
St. John von seinem weizenblonden Haar bis zu der mit Diamanten besetzten Uhrtasche, die aus seiner Westentasche hing, kühle Eleganz und Reichtum aus. Wie hatte Tante Delia es bloß geschafft, ihn dazu zu überreden, sie zu dieser Besichtigung zu begleiten? Und wieso hatten die Trimble-Schwestern ihn entwischen lassen?
»Ich fürchte, dann wird er schwer enttäuscht von seinen Schülern sein.« Sabrina betrachtete die gelangweilt wirkende Gruppe. »Sie sehen alle nicht besonders interessiert aus, nicht?«
St. John deutete auf Jane. »Miss Fletcher scheint sogar ganz fasziniert zu sein.«
Er hatte recht. Jane hing an den Lippen des jungen Geistlichen, der vor Freude darüber ganz heiße Wangen bekommen hatte und seine Bemühungen verdoppelte, jetzt auch noch mit weit ausholenden Armbewegungen.
»Bedauerlicherweise für den Kurat ist es eher Mitgefühl als Interesse«, erklärte sie belustigt. »Je weniger die anderen ihn beachten, desto mehr Aufmerksamkeit wird Jane ihm schenken. Sie hasst es, wenn jemand brüskiert wird.«
»Eine bewundernswerte Eigenschaft bei einer jungen Dame. Aber ich bin sicher, dass Sie über ganz ähnliche Gaben verfügen.«
Sah er sie mit einem ganz bestimmten Blick an, wenn er sprach? Wurde sein Lächeln noch ein wenig charmanter? War diese letzte Pause ein bisschen zu lang gewesen? Und was meinte er mit »Gaben«? Versuchte er herauszufinden, ob sie eine Andere war? Oder war er nur höflich und sie übertrieben misstrauisch?
Sabrina murmelte eine Antwort und hoffte, dass sie ihn zufriedenstellen und er zu der Gruppe zurückkehren würde, die schon das halbe Mittelschiff hinter sich gebracht hatte und jetzt die gotische Architektur bewunderte und erfuhr, welche Stücke aus welcher Zeit stammten.
Dummerweise nahm St. John jedoch Sabrinas Arm und zwang sie praktisch, ihn zu begleiten, als er weiterschlenderte. Na wunderbar – jetzt musste sie auch noch Konversation machen! Und dabei hasste Sabrina es, freundliche Belanglosigkeiten auszutauschen. Außerdem schickte seine Berührung selbst durch den Ärmel der Pelisse hindurch noch Kälte ihren Arm hinauf.
Nervös suchte Sabrina nach einem Thema, um das unangenehme Schweigen auszufüllen. »Leben Sie schon lange in Dublin, Sir?«
»Seit Beginn dieses Frühjahrs. Aber wie ich hörte, sind Sie gerade erst eingetroffen. Wie gefällt Ihnen die Stadt bisher?«
Es war nichts Aufdringliches an seiner Frage. Vielleicht bildete sie sich ihr ungutes Gefühl ja auch nur ein. »Ehrlich gesagt, muss ich mich erst noch daran gewöhnen.« Sie suchte Janes Blick und gab ihr das universelle Zeichen für Hilfe, ich brauche Unterstützung . Aber diesmal hatte sie kein Glück.
»Ihre Tante erwähnte, dass Ihr Bruder und seine Frau schon bald zurückerwartet werden.« St. John beugte sich zu ihr hinüber und drückte ihren Ellbogen, worauf ein weiterer kalter Schauder ihren Arm hinauffuhr. »Mit seiner unerwarteten Heirat hat Lord Kilronan einige hübsche Damen vor den Kopf gestoßen«, fügte er mit einem leichten Nicken zu den kichernden Trimble-Schwestern hinzu.
Sabrina versteifte sich und zog den Arm zurück. »Komisch«, sagte sie gereizt. »Als er am Rande des finanziellen Ruins stand, haben sie sich nie sehr für ihn interessiert.«
Er lächelte breit und zeigte dabei blendend weiße Zähne. »Ich hatte Sie für einen kleinen Spatz gehalten, doch Sie haben den Mut eines Adlers, Lady Sabrina. Ich wünschte, meine Schwestern wären genauso schnell bereit, mich gegen meine Feinde zu verteidigen.«
Sabrina, die sich ihrer übertriebenen Reaktion wegen jetzt ein bisschen dumm vorkam – und weil Aidan ihren Schutz ja wohl auch kaum benötigte –, schwenkte verzweifelt ihren Reiseführer hinter dem Rücken, um Jane auf sich aufmerksam zu machen. »Entschuldigen Sie, dass ich die Beherrschung verloren habe«, sagte sie und räusperte sich auffällig. »Ich hätte nicht unterstellen sollen … ich meine …« Diesmal hustete sie mehrmals laut. »Kilronan braucht meine Unterstützung nicht. Er ist sehr gut in der Lage, sich selbst zu verteidigen.«
Jane war jedoch derart von Mr. Munsy in Anspruch genommen, dass sie Sabrinas Zeichen nicht bemerkte.
St. John hingegen musterte sie besorgt. »Geht es Ihnen nicht gut, Lady Sabrina? Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Lassen Sie mich Ihnen etwas holen!«
Er machte sich auf die Suche nach Wasser und gab ihr damit die Gelegenheit, sich in den nächststehenden Kirchenstuhl zu flüchten. Sie lächelte,
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