Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
niemand ihre Ankunft sah. Oder Sabrinas Verlegenheit, die ihre Wangen zum Glühen brachte.
Würde er doch nur gehen!, dachte sie, damit sie Jane suchen und eine Migräne vortäuschen konnte, um heimzufahren und sich mit ihrer Scham in ihrem Zimmer zu verkriechen.
Aber stattdessen führte er sie durch die Terrassentür wieder ins Haus, die wenigen Stufen hinunter, den Gang hinauf und zurück in die Nische – wo sie geradewegs auf Jane und Tante Delia stießen, die die Köpfe zusammensteckten und besorgte Blicke tauschten.
»Da bist du ja, Liebes.« Tante Delia seufzte vor Erleichterung. »Wir fragten uns schon, wo du hingegangen sein könntest.« Ihr Blick glitt über Daigh, und ihre Stirn bewölkte sich. Sabrina konnte fast hören, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren. Sie brauchte nichts zu sagen; Tante Delias schmutzige Fantasie würde schon die Lücken füllen.
Bevor sie jedoch den Mund öffnete, um das Offensichtliche zu fragen, hakte Jane sich bei Daigh unter, packte ihn am Ohr und zog ihn zu sich herab, um ihn auf die Wange zu küssen. »Daigh, du Schelm! Du bist ja doch gekommen. Und Sabrina hast du auch schon gefunden.« Dann wandte sie sich Tante Delia zu. »Mrs. Norris, darf ich Ihnen meinen Bruder vorstellen? Mr. Fletcher ist gerade erst in Dublin angekommen.«
Seine dunklen Augen funkelten wieder belustigt, und er lächelte sogar, als er sich mit einem Flair, das jeder Frau den Kopf verdrehen würde, über Tante Delias Hand beugte. »Ich traf Lady Sabrina bei der Bowlenschüssel, und sie klagte über Kopfschmerzen. Vielleicht wäre es das Beste, wenn sie heimgebracht würde.«
Nicht einmal Tante Delia war immun gegen Daighs Charme. »Sie hatte schon immer die schwache Konstitution ihrer armen Mutter. Der kleinste Windhauch reichte, damit sie sich eine Erkältung zuzog«, sagte sie, aufgeregt wie ein Schulmädchen.
»Wenn Sie es gestatten, begleite ich die beiden jungen Damen gern nach Hause.«
Sabrinas Kopf fuhr zu ihm herum. Bitte nicht!, dachte sie. Sie könnte seine Gesellschaft jetzt keinen Moment länger ertragen.
»Das wäre wunderbar. Vielen Dank, junger Mann!«
Sabrina warf Jane einen bösen Blick zu. »Wunderbar« war es gerade nicht!
»Bruder?«, fauchte Sabrina ihre Freundin an. » Bruder? Was hast du dir dabei gedacht?«
»Na, was wohl? Ich habe an deinen guten Ruf gedacht. Den du offensichtlich völlig vergessen hast.«
»Im Gegenteil. Das war genau das, was ich im Sinn hatte. Oder vielmehr seine Zerstörung. Und es wäre mir gelungen. Tante Delia hätte es mit Sicherheit Aidan erzählt. Und er wäre entsprechend entsetzt gewesen. Genug, um mich mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel nach Glenlorgan zurückzuschicken.«
»Das war dein Plan? Einen Skandal mit Daigh MacLir hervorzurufen?«
»Es hätte geklappt, wenn …«
»Wenn was?«
»Ach, vergiss es!« Sabrina rieb sich die Schläfen.
»Ihr beide wart eine ganze Weile weg. Hat er … habt ihr …«
»Jane!«
»Er ist mein Bruder«, entgegnete sie grinsend. »Ich habe ein Recht, es zu erfahren.«
»Du willst wissen, was geschehen ist? Die ganze hässliche, unerfreuliche Geschichte? Dann werde ich sie dir erzählen. Ich habe mich ihm buchstäblich an den Hals geworfen! Habe mich nach Kräften bemüht, ihm mein Interesse an ihm zu zeigen. Und weißt du, was er getan hat?«
»So, wie es sich anhört …«
»Nichts! Überhaupt nichts. Er war – mehr oder weniger – der perfekte Gentleman, dieser verfluchte Kerl!«
»Ist es das ›mehr‹ oder das ›weniger‹, was dich stört?«
Sabrina schloss die Augen und sah wieder die harte, arrogante Schönheit des Mannes vor sich, als er sie gestreichelt hatte, erlebte erneut die Überzeugungskraft seiner Küsse und erinnerte sich an die vollkommene Zufriedenheit, die sie in seinen Armen gefunden hatte. Als könnte sie ihr ganzes Leben in der Geborgenheit dieser starken Arme verbringen.
»Das ist unwichtig. Es war eine dumme Idee.«
Daigh bezahlte die Droschke. Er war noch vier oder fünf Häuserblocks entfernt von dem Zimmer, das er auf der Wood Street genommen hatte, aber er brauchte jetzt frische Luft, Zeit für sich und Raum zum Denken.
Er hatte einen Traum in den Armen gehalten, als er Sabrina so nahe gewesen war: substanzlos wie Spinnweben, zerbrechlich wie der Schaum auf Wellen. Es spielte keine Rolle, wie sicher er sich ihres Platzes in seinem früheren Leben war, heute war sie für ihn genauso
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