Verführung der Nacht: Ein Vampirthriller (German Edition)
Handtasche mit meinen Papieren holen?«, frage ich. »Sie liegt im Auto.«
Er ignoriert die Frage und fährt los. Bei der ersten Gelegenheit wendet er, und bald fahren wir in nördlicher Richtung die Torrey Pines Road entlang. Weg von der Stadtmitte San Diegos und dem Polizeirevier.
»Wo bringen Sie mich hin?«
Ich könnte ebenso gut mit mir selbst sprechen. Wieder einmal antwortet er nicht. Er scheint mich nicht einmal gehört zu haben.
»An irgendeinen dunklen, verlassenen Ort, nehme ich an«, plappere ich trotzdem weiter. »Sie brauchen schließlich keine Zeugen für das, was Sie vorhaben. Hier in der Gegend wäre es wohl am besten – der Torrey Pines State Park?«
Seine Augen blitzen im Rückspiegel auf, aber ich bin darin natürlich nicht zu sehen – und er wendet den Blick ab.
Aber ich kann ihn sehen. Die Straßenbeleuchtung ist hell genug, so dass ich sein Gesicht gut erkennen kann. Er ist jünger als ich, hat kurz geschorenes blondes Haar und ein vorstehendes Kinn. »Sind Sie überhaupt ein richtiger Cop?«
Das zaubert ein Lächeln auf seine vollen Lippen. »Ja. Ich bin ein richtiger Cop. Ich bin hier, um zu wachen und zu schützen. Ungeziefer wie dich zu erledigen ist für mich das Schönste an diesem Job.«
Ich denke an das, was Avery mir erzählt hat. »Und Sie bekommen eine Prämie für jeden Vampir, den Sie zu Staub zerfallen lassen, ja? Wie beweisen Sie denn, dass Sie einen erledigt haben? Liegt vielleicht ein hübscher kleiner Handstaubsauger hinten im Kofferraum?«
»Du bist eine ganz Schlaue, was?« Der Blick der blauen Augen wird hart. »Morgen früh werden sie dein Auto finden. Dein Ausweis liegt ja noch drin. Wenn sich dann herausstellt, dass du verschwunden bist, ist das die Bestätigung, die ich brauche.«
»Es hat also nur achtundvierzig Stunden gedauert, bis ich als Vampir identifiziert wurde«, sage ich. »Ich bin beeindruckt. Woher bekommen Sie Ihre Informationen?«
Doch er antwortet nicht. Er schweigt während der restlichen Fahrt, wirft nicht einmal mehr einen Blick in den Spiegel. Also nutze ich die Zeit, um die Handschellen auszutesten. Ich verdrehe die Handgelenke und versuche herauszuschlüpfen. Keine Chance. Ich rutsche auf dem Sitz nach vorn, denn wenn ich meine Hände vor mich bekommen könnte, hätte ich eine bessere Chance, mich zu verteidigen. Aber das geht nicht, ohne dass er mitbekommt, was ich da tue, und dann verliere ich das Überraschungsmoment.
Ich bleibe in dieser halb liegenden Position und beobachte seine Augen im Spiegel. Der Spiegel. Ich kann ihn sehen, er mich aber nicht. Ich habe mich bereits so weit verwandelt, dass ich mein Spiegelbild vollständig verloren habe. Wollen doch mal sehen, ob ich das zu meinem Vorteil nutzen kann.
Ich war noch nie sonderlich gelenkig. Yoga mache ich eher der geistigen als der körperlichen Fitness zuliebe, aber ich will verdammt sein, wenn ich es nicht schaffe, meine Hände unter meinem Hintern durchzuschieben und dann ein Bein nach dem anderen unter den Handschellen hindurch zu bekommen. Ich bewege mich langsam, so langsam, dass nicht einmal das leise Rascheln von Seide ihm verrät, was ich da auf dem Rücksitz tue. Der Cop wirft keinen einzigen Blick nach hinten. Es ist so leicht, dass ich mich frage, ob extreme Beweglichkeit vielleicht eine weitere Anomalie der Vampirphysiologie sein könnte.
Ich rutsche ganz in die Ecke, so dass ich unmittelbar an der Tür sitze. »Wie viele Vampire haben Sie denn schon so auf dem Kerbholz?«
Er antwortet nicht.
Ich wette, es waren nicht viele, denn sonst hätte ich nicht tun können, was ich gerade getan habe. Ich wünschte beinahe, diese Gedankenleserei würde auch bei Menschen funktionieren, denn dann könnte ich in seinen Kopf eindringen und ihm sagen, was für ein dämliches Arschloch er ist. Es wird mir ein Vergnügen sein, mich auf ihn zu stürzen und das Entsetzen in diesen babyblauen Augen zu sehen, wenn ich –
Meine Gedanken werden abrupt unterbrochen, als wir die Abfahrt zum Torrey Pines State Park nehmen. Der Cop fährt mit einem lässigen Gruß an dem Ranger, der dort Wache steht, vorbei. Ich hätte beinahe um Hilfe geschrien, denn ich weiß, dass die getönten hinteren Scheiben des Streifenwagens dem Ranger verbergen, dass sein Kollege von der Polizei einen Zivilisten in den Park chauffiert. Gewiss nicht alltäglich, nehme ich an. Aber der Cop fährt zügig weiter, und die Gelegenheit ist vorbei, bevor ich sie nutzen kann.
Noch so ein Blödsinn, für den ich
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