Verführung der Unschuld 2
Bild.
Stirnrunzelnd überlegte sie, was sie mitnehmen könnte, um den Eindruck eines Schulmädchens zu verstärken. Unter den Taschen, die sie im Kleiderschrank fand, war nichts dabei, was ihr geeignet erschien. Es gab kleine Abendhandtäschchen, aus edlem Stoff oder mit glitzernden Steinen besetzt, kaum größer als eine Geldbörse. Oder moderne elegante Handtaschen in verschiedenen Größen. Dann fiel ihr Auge auf eine lederne Naht, die im Begriff war, sich aufzulösen. Als sie die Tasche hinter den anderen hervorholte, entpuppte sich diese als alter Schulranzen, das Leder abgenutzt, die Tragegurte jedoch in Ordnung. Es gab nur eine Erklärung dafür. Diese Tasche wartete darauf, als Accessoire für ein Spiel in dem alten Klassenraum eingesetzt zu werden.
Für den Fall, dass Giovanni in die Tasche hineinschauen würde, war ein passender Inhalt erforderlich. Wenn schon ein Spiel, dann möglichst wirklichkeitsnah. Mariella überlegte. Hefte, Federmäppchen und Schulbuch, aber woher sollte sie so etwas bekommen? Vielleicht verbarg sich etwas davon im Klassenzimmer. Eigentlich durfte sie das nur betreten, wenn Federico sie dorthin zu einem Spiel einlud.
Leise öffnete sie die Tür zum Flur und lauschte. Niemand zu hören. Antonella hatte nachmittags meistens unten zu tun. Auf Zehenspitzen schlich Mariella ans andere Ende des Flurs und öffnete vorsichtig die Tür zu den Spielzimmern. Halbdunkel empfing sie. Die Zimmertüren standen offen, ebenso alle Fenster. Nur die geschlossenen Fensterflügel schützten vor Hitze und grellem Sonnenlicht.
Mariella tastete nach dem Schalter neben dem Türrahmen und schaltete das Licht an. Die Türen des alten Schränkchens knarzten beim Öffnen. Was für ein Glück. Ein Erdkundebuch, ein linierter Block, ein Bleistift. Das würde wohl genügen.
Bevor sie den Raum verließ, sah sie sich nochmal um. Alles war wie vorher, nichts verriet ihr Eindringen. Unbemerkt kehrte sie zurück. Für den Fall, dass sie Giovanni nicht antreffen würde, packte sie einen Bikini, eine Wasserflasche, Sonnencreme und ein Handtuch ein, denn soviel sie aus dem Plan wusste, musste es etwa einen Kilometer hinter dem Pavillon einen Badeteich geben. Diesen würde sie alternativ aufsuchen. Dann ging sie los.
Wie ein offenes Fünfeck waren in gleichem Abstand um die Landhausvilla Pavillons im Park angeordnet, das hatte Mariella auf einem gezeichneten Lageplan gesehen, der in einem der Flure an der Wand hing. Einer davon wurde als Pfauenpavillon bezeichnet, ein wenig abseits von einem der Wege gelegen, die sternförmig vom Landhaus in den Park hinausführten. Büsche und Bäume schirmten den Pavillon ab, so dass sie beinahe daran vorbeigelaufen wäre, hätte nicht ein dezenter Wegweiser darauf hingewiesen.
Sie schaute sich um, aber von Giovanni war nichts zu sehen oder zu hören. Ob seine Pflichten ihm überhaupt gestatteten, das Haus für ein Schäferstündchen zu verlassen?
Die massive gusseiserne Konstruktion des Pavillons bestand aus schwungvoll gedrehten Linien, die sich nach oben in eine Kuppel aus stilisierten Blüten und Blättern vereinten. Ein Rad schlagender Pfau aus Kupferblech bildete den Abschluss. Zwischen den Streben war der Pavillon verglast. In die hohen Scheiben und die oben abgerundete Doppelschwingtüre waren Pfauen und Blumen als Relief eingeschliffen und bildeten eine matt-weiße Oberfläche.
Wie romantisch. Der ideale Ort für ein geheimes Treffen. Warum weiß ich nicht davon? Warum hat Federico mich noch nie hierher geführt?
Rund um den Pavillon wucherten Kletterrosen über massiven Rankgerüsten und boten nur wenige schmale Durchblicke. Fleißig sammelnde Insekten schwirrten von einer Blüte zur nächsten, betrunken vom Nektar oder vom Duft, der die Luft ringsum erfüllte. Einige der Zweige reckten sich über die Kuppel hinweg, als wollten sie den Pavillon wie in einem Dornröschenschlaf unter sich begraben und ohne die Gärtner, die dem Gehölz rechtzeitig stutzenden Einhalt geboten, würde es ihnen sicherlich gelingen. Der Name
Pfauenpavillon
war auf den Rad schlagenden Pfau zurückzuführen, den die Doppelschwingtür zierte, und dessen Kopf als Türgriff diente.
Gerade als Mariella die Hand nach dem Griff ausstreckte, um sich im Inneren umzusehen, gebot ihr eine strenge Stimme Einhalt.
»Das nennt man also heutzutage Hausaufgabenmachen?« Es war eine Mischung aus Tadel und Spott.
Mariella fuhr auf dem Absatz herum und unterdrückte mit Mühe ein Lachen. Mit altmodischen
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