Verführung Der Unschuld
bestand an
diesem Abend kein Grund zur Eifersucht, die Giulia heimsuchte, wenn Federico und Lorenzo
auf ihren Partys von den schönen Frauen der High Society umschwärmt wurden. Zwar war
allgemein bekannt, dass sie sich eine Auszeit von den Liebschaften wünschten, aber das hielt
die Frauen nicht davon ab, sie wie Schmetterlinge zu umschwirren.
Die Abfolge des Servierens wiederholte sich bei jedem einzelnen Gang des Diners, und
dazwischen stand Giulia neben Giovanni an der Wand, wie man es ihr aufgetragen hatte,
jederzeit bereit, Wünsche der Gäste entgegenzunehmen, dabei aber unaufdringlich und
möglichst unbeteiligt zu gucken. Es fiel ihr schwer. Obwohl alle durcheinanderredeten, mal
mit ihrem Nachbarn, mal quer über den Tisch, drangen Fetzen der Unterhaltung an Giulias
Ohr. Nichts davon interessierte sie wirklich. Aber schon alleine die Tatsache, dass sie
bewegungslos wie eine Statue neben der Tür stand, wie sie es nur aus Spielfilmen kannte, die
in historischer Zeit spielten, und dass man davon ausging, nichts von diesen Gesprächen
würde nach draußen getragen, empfand Giulia als äußerst merkwürdig.
Unter anderem wollte der Patrone von seinen Söhnen wissen, ob für diese oder jene
Immobilie schon ein Käufer in Sicht sei. Seine Frau interessierte sich für die Fortschritte der
Schulbildung ihrer beiden Nichten. Ansonsten wurde diverser Klatsch und Tratsch aus den
umliegenden kleinen Ortschaften und der weiteren Verwandtschaft breitgetreten.
Eine einzige Frage fand allerdings auch Giulias Interesse, und sie ertappte sich dabei, dass
sie ihre Augen nicht länger auf das kunstvoll verlegte Mosaik des Steinfußbodens zu heften
vermochte, sondern abwechselnd Federico und Lorenzo ins Gesicht sah, denen sie fast genau
gegenüberstand, den Blick nur durch die Silhouetten ihrer Eltern teilweise verdeckt. Es ging
um ihre Zukunftspläne. Sie seien inzwischen erfolgreiche Geschäftsmänner, lobte der Patrone
seine Söhne, und das allgemeine Geplauder verstummte ein wenig. Im nächsten Jahr würden
sie dreißig Jahre alt, höchste Zeit zu heiraten und für die Nachfolge der Moreno’schen
Dynastie zu sorgen. Die Antwort der Gemelli entging Giulia, aber den unwilligen
Gesichtsausdruck von Federico hatte sie noch wahrgenommen – und war es möglich, dass er
ihr kurz zugezwinkert hatte? – ehe sie Giovanni, der sie just in diesem Augenblick am Ärmel
zupfte, nach draußen auf den Flur folgte, um das Dessert zu holen.
***
Es vergingen zwei weitere Tage im gewohnten Trott. Zwar war Giulia jeden Morgen beim
Servieren übernervös, aber es geschah nichts Außergewöhnliches, mal abgesehen davon, dass
sie an dem einen Morgen einen Klaps von Federico erhielt, am anderen von Lorenzo umarmt
wurde, und er dabei wie zufällig mit einer Hand über ihre Brust strich. Giulia zuckte wie
elektrisiert zusammen und flüchtete so schnell wie möglich.
***
»Was ist jetzt? Wenn du sie dir nicht vornimmst, mach ich es!« Lorenzo war offensichtlich
mit dem falschen Fuß aufgestanden. Er und Federico waren abends nach Mailand gefahren
und bis spät in der Nacht unterwegs gewesen, aber das Thema »Frauen« schien unergründlich
zu sein. Eine Zeit lang waren sie überzeugt gewesen, zwei Freundinnen aufgerissen zu haben,
angebliche Modedesignerinnen, aber dann verabschiedeten sich diese abrupt und ließen die
beiden wie zwei begossene Pudel stehen.
Es klopfte. Leise wie immer kam Giulia herein, stellte jedem seine Tasse Cappuccino hin
und wollte gerade weiter Richtung Tür gehen, als Federico sie stoppte.
»Giulia! Komm her zu mir.«
Sie hielt das silberne Tablett wie einen Schutzschild vor sich und ging bis auf einen halben
Meter heran. Federicos dunkle Augen schienen sie zu durchdringen und machten sie nervös.
Hatte sie wieder etwas angestellt, wovon sie noch nichts wusste?
»Ist … ist alles in Ordnung, Signor Federico, oder wünschen Sie noch etwas?« Verunsichert
hob sie die Schultern an und senkte sie wieder.
Er nickte und winkte sie mit der Hand näher zu sich. »Ja«, erwiderte er. »Du hast etwas
vergessen.«
Giulia zog die Augenbrauen hoch. »Bitte?«
»Ich war die letzten Tage zu beschäftigt, um mit dir darüber zu reden, dass deine Schuld
noch nicht völlig beglichen ist!«
Giulias Mundwinkel zuckten nach unten. »Aber, Signor Federico, ich dachte …«
Er riss die Augen weiter auf und beugte sich ein wenig nach vorne: »Ja, was? Du dachtest,
mit der kleinen Züchtigung von neulich ist der Schaden bereits
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