Verführung Der Unschuld
dass Giulia weglaufen oder sich irgendwo
beschweren könnte, denn schließlich hatten sie beide ja nichts zu verlieren. Wer würde schon
einem Dienstmädchen Glauben schenken, das wertvolle Dinge kaputtschlug. Schließlich gab
es Beweismaterial.
***
»Buon giorno, Signori!«
Giulia servierte den Latte Macchiato und bemühte sich, dies mit
derselben Selbstverständlichkeit zu machen wie jeden Morgen. Es fiel ihr schwer, den Raum
mit ruhigen Bewegungen zu betreten und ohne zu zittern das Tablett zu tragen. Sie hatte kaum
das zweite Glas an Federicos Platz abgestellt, als sie Lorenzos Hand an ihrer Hüfte spürte. Er
zog sie zu sich heran, nahm ihre Hand, presste einen Kuss darauf und fragte: »Wie geht es dir,
Giulia? Hast du alles gut überstanden?«
Ihr Puls schoss sprunghaft in die Höhe, und sie fühlte entsetzt, wie ihre Wangen und Ohren
zu glühen begannen. »Ja, Signor Lorenzo!«, stotterte sie.
»Prima. Du erinnerst dich auch noch an dein Versprechen?«
»Ja, Signor Lorenzo«, obwohl sie sich eingestehen musste, dass sie die Sache mit dem
Versprechen nicht so ganz verstanden hatte. Was genau hatte sie eigentlich versprochen?
Zudem brachte Lorenzos Nähe sie durcheinander. Er starrte unverhohlen auf ihr Dekolleté,
und sie konnte fühlen, wie sich ihre Brustspitzen unter seinem Blick verhärteten. Jeder
Zentimeter ihrer Haut schien auf einmal sensibilisiert zu sein.
Er wandte seinen Blick ab und schaute ihr nun in die Augen. »Gut, dann ab an deine Arbeit
und pass auf, dass nichts mehr passiert!«
»Ja, Signori!« Fluchtartig packte sie ihr Tablett und rannte aus dem Zimmer.
Die Brüder gingen Giulia nicht mehr aus dem Kopf. Egal, welche Arbeiten sie zu verrichten
hatte, ständig dachte sie darüber nach, wie sie sich künftig verhalten sollte, und was Lorenzos
Blick zu bedeuten hatte.
Es schien ihr, als ob der Tag überhaupt nicht vorüberginge, dabei stand ihr das Wichtigste
noch bevor: Zusammen mit Giovanni sollte sie beim Abendessen bedienen.
Endlich war der Tag doch ohne weitere Zwischenfälle vergangen. Die Morenos hatte Giulia
zwischenzeitlich nicht gesehen.
Ihre erste Aufgabe, als abends die Gäste eintrafen war, den von Ilaria – der Tante der Brüder
– mitgebrachten üppigen Strauß aus gelben und lachsfarbenen Rosen in eine passende Vase
auf den Esstisch im Speisezimmer zu stellen. Sie nahm die Rosen mit hinunter in die Küche,
schnitt die Stiele gekonnt an, tauchte ihre Nase in den Rosenstrauß und atmete tief ein. Der
Duft war betörend.
Mamsell Concetta beobachtete sie und lächelte. »Die sind prächtig, nicht wahr? Sie hat die
Rosen bestimmt aus ihrem eigenen Garten mitgebracht. Ich habe ihn noch nie gesehen, aber
er soll voller Rosen sein, eine schöner als die andere. Ihre Passion.«
Danach lief Giulia nervös in der Küche auf und ab, wiederholte leise die
Verhaltensmaßregeln, die ihr die Mamsell aufgetragen hatte, und zupfte zum wiederholten
Male an ihrem Rock und ihrer Schürze.
»Auf, auf, Giulia, tummel dich. Bring das Tablett mit der Suppenschüssel hinauf!« Hinter
ihr klatschte die Mamsell antreibend in die Hände.
Beinahe andächtig schritt Giulia die Halbtreppe von der Küche ins Erdgeschoss hinauf. Die
Tür zum Speisezimmer stand offen und Giovanni erwartete sie bereits. Seine Miene war
nichtssagend, undurchdringlich, weder freundlich noch unfreundlich, vollkommen
emotionslos wie immer. Er gab ihr einen Wink, den vorher besprochenen Weg einzuschlagen,
und sie ging zur Mitte der Tafel und nahm rechts hinter Franca Moreno, der Mutter der
Gemelli, ihren Platz ein. Giovanni ging um sie herum, nahm den Teller der Signora vom
Tisch, die Suppenkelle in die Hand und tat mit einer gekonnten, schwungvollen
Handbewegung, ohne jedoch einen einzigen Spritzer zu verursachen, einen Schöpfer der
frisch und gehaltvoll duftenden Tomatensuppe auf. Dann wechselten sie an den Stuhl des
Patrone und von dort Platz um Platz um den Tisch herum.
Außer den Eltern und ihren beiden Söhnen, die ihnen gegenübersaßen, waren ein Onkel mit
seiner Frau und seinen beiden halbwüchsigen Töchtern eingeladen, sowie Francas verwitwete
Schwester Ilaria.
Alles in allem handelte es sich um eine Art Pflichteinladung zu einem Familienessen, bei
dem viel und zwanglos geplaudert wurde, es aber gleichfalls gesitteter und steifer zuging als
auf den Moreno’schen Partys, auf denen Giulia mittlerweile öfter bedient hatte. Dagegen war
es das erste Mal, dass sie Giovanni bei einem Diner zur Seite stand. Wenigstens
Weitere Kostenlose Bücher