Verfuehrung im Mondlicht
wohlhabender Gentleman, einer der Erben von Stoners Besitz. Wenn du wirklich heiraten wolltest, dann könntest du dir eine weit vornehmere Braut suchen als ausgerechnet eine arme Lehrerin mit einer höchst anrüchigen Vergangenheit.«
»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich kein Gentleman bin! Ich bin gewissermaßen nur ein bekehrter Dieb, der aber nach wie vor süchtig nach diesem finsteren Reiz ist, den es hat, wenn man spät des Nachts durch die Fenster von Häusern fremder Menschen steigt, verschlossene Schubladen öffnet und in Dingen herumwühlt, die einen nichts angehen.«
Sie runzelte die Stirn. »Du weißt ganz genau, dass dies keine zutreffende Beschreibung deines Charakters ist. Du bist ein nobler, aufopferungsvoller Ritter, der sich verpflichtet hat, Ungerechtigkeiten in Ordnung zu bringen.«
»Nein, Liebste. Ich bin ein professioneller Dieb mit einem langen Stammbaum von Schurken und Betrügern. Du bist die noble und aufopferungsbereite Person in dieser Küche, nicht ich. Es liegt auf der Hand, dass ich deine strenge moralische Führung und deinen Einfluss dringend benötige, um der Verlockung zu widerstehen, wieder in meine alten Gewohnheiten zu verfallen.«
»Ambrose ...« Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Dann bitte mich doch einfach um meine Hand.« Er richtete sich auf, ging um den Tisch herum und zog Concordia in seine Arme. »Das ist die beste Möglichkeit, um mich auf dem richtigen Pfad zu halten. Außerdem würdest du damit deine Schulden begleichen.«
»Wie bitte?«
»Ich erhebe meine Bezahlung in Form von Gefälligkeiten, wenn du dich erinnerst. Die Gefälligkeit, die ich von dir verlange, ist ein Heiratsantrag.«
Sie legte ihre Hände auf seine Schultern. Sie sah die Wärme und das Versprechen in seinen Augen. Ambrose würde mich nie belügen, dachte sie. Sie hatte ihm ihr Leben und das ihrer Schülerinnen anvertraut. Er hatte gesagt, dass er sie liebte. Sie konnte ihm mit ganzem Herzen vertrauen.
Etwas in ihr, das schon sehr lange kalt und sehr einsam gewesen war, blühte plötzlich auf, als wäre ein Sonnenstrahl darauf gefallen. Sie hatte jemanden gefunden, den sie lieben konnte. Dieses außergewöhnliche Geschenk würde sie nicht zurückweisen.
»Ich liebe dich von ganzem Herzen«, flüsterte Concordia. »Willst du mich heiraten, Ambrose Wells?«
»Ja«, erwiderte er an ihren Lippen. »Ja, bitte. Und zwar so schnell wie möglich.«
Eine unbändige Freude erfüllte sie. Sie schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss mit der ganzen Leidenschaft und Liebe, die sie sich für den richtigen Mann, diesen Mann, aufbewahrt hatte.
Er küsste ihren Hals.
»In einer Angelegenheit hast du dich allerdings getäuscht«, murmelte er undeutlich.
»Und in welcher?«
»Meine Vorstellungskraft ist weit umfassender, als du glaubst. Ich bin zum Beispiel sehr wohl in der Lage, mir auszumalen, dass dieser Küchentisch eine ausgezeichnete Örtlichkeit für ein leidenschaftliches Stelldichein sein könnte.«
»Ambrose!«
»Nicht vor den Hunden, hoffe ich doch«, sagte Stoner von der Küchentür aus.
Dante und Beatrice sprangen in den Raum.
»Oder gar den jungen Damen«, fuhr Stoner fort.
Hannah, Phoebe, Edwina und Theodora tauchten in der Tür hinter Stoner auf.
»Hat sie ihn schon gefragt?«, krähte Hannah.
Stoner lächelte Ambrose und Concordia wohlwollend an. »Ja, ich glaube, das hat sie.«
»Und was hat Mr. Wells geantwortet?«, fragte Edwina besorgt.
Concordia schmiegte sich in Ambroses Arme und betrachtete das aufgeregte Grüppchen in der Küchentür. Irgendwie sind wir alle miteinander verwoben, dachte sie. Sie fühlte die unsichtbaren Bande, die sie nicht nur mit Ambrose, sondern auch mit John Stoner und den vier Mädchen vereinten. Selbst Felix Denver schien irgendwie dazuzugehören.
Sie kannte das Gefühl. Es war schon sehr lange her, dass sie es wahrgenommen hatte, aber manche Gefühle vergisst man nie.
So fühlte es sich an, eine Familie zu haben.
Sie lächelte strahlend. »Ich freue mich, Euch mitteilen zu können, dass Mr. Wells meinen Antrag angenommen hat.«
46
Kurz nach Mitternacht ging Annie Petrie vorsichtig über den alten Friedhof. Nebel verhüllte die Grabsteine und Monumente, ganz ähnlich wie beim ersten Mal, als sie den Mann hier getroffen hatte. Sie umklammerte den Kragen ihres Umhangs mit einer Hand und hielt mit der anderen die Laterne hoch.
»Seid Ihr da, Sir?«, flüsterte
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