Verfuehrung im Mondlicht
ausgedacht hatte. Falls er aus dieser Sache heil herauskam, würde er sich einen neuen ausdenken.
»Was haltet Ihr davon, wenn wir nach unten gehen und uns eine Tasse Tee genehmigen, während wir weiter über Eure Zukunft plaudern, Mr. Wells?«
»Tee?«
»Ich dachte, Ihr würdet Tee der anderen Option vorziehen, die ich noch zu bieten hätte.«
»Wie lautet diese andere Option?«
»Eine Unterhaltung mit einem Detektiv der Polizei. Allerdings bezweifle ich, dass man Euch bei einer solchen Unterhaltung einen auch nur im Entferntesten annehmbaren Tee servieren würde.«
»Tee klingt ganz ausgezeichnet.«
»Dachte ich mir, dass Ihr Euch so entscheiden würdet. Kommt mit. Ziehen wir uns in die Küche zurück. Allerdings müssen wir uns den Tee selbst bereiten. Heute Nacht hat mein Personal frei. Doch das wusstet Ihr ja bereits, nicht wahr?«
Ambrose saß gefesselt auf einem Holzstuhl und sah staunend zu, wie sein Gastgeber den Tee zubereitete. Im Gegensatz zu der großen Mehrheit von Männern seiner gesell-schaftlichen Stellung schien sich John Stoner in seiner Küche sehr gut auszukennen. Nach wenigen Minuten hatte er das Wasser im Kessel auf dem Herd aufgesetzt und die Teeblätter mit einem Löffel in eine elegante, kleine Kanne gegeben.
»Wie lange übt Ihr Euren Beruf als >Geist< denn bereits aus, Mr. Wells?«, erkundigte sich Stoner beiläufig.
»Ich will Euch nicht zu nahe treten, Sir, aber das ist eine recht peinlich formulierte Frage. Ganz gleich, wie ich sie beantworte, Ihr würdet mich veranlassen zuzugeben, dass ich der Geist bin.«
»Ich denke, angesichts der Umstände können wir diese kunstvolle kleine Geschichte mit der Wette aufgeben, findet Ihr nicht auch?« Stoner trug die Kanne und zwei kleine Tassen zu einem Holztisch und stellte sie darauf ab. »Hm. Nach allem, was ich oben im Schlafzimmer beobachten konnte, seid Ihr Rechtshänder. Aus diesem Grund dürftet Ihr wahrscheinlich mit Eurer linken Hand etwas weniger geschickt hantieren. Also werde ich die losbinden.«
»Ihr konntet mich im Dunkeln so deutlich sehen?« Trotz seiner misslichen Lage wurde Ambrose immer neugieriger auf John Stoner.
»Wie ich erwähnte, ist meine Sicht bei Nacht nicht mehr so gut, wie sie einst war, aber meine Augen sind immer noch erheblich besser als bei den meisten anderen Männern meines Alters.«
Stoner setzte sich auf die andere Seite des Tisches und schenkte ihnen Tee ein. Ambrose bemerkte, dass die zierlichen, dünnen Tassen keine Henkel besaßen. Wie die Kanne waren auch sie mit exotischen Szenen bemalt, doch er konnte sie nicht identifizieren. Auf keinen Fall stammen sie aus China oder Japan, dachte er. Aber das Muster verriet, dass sie aus dem Fernen Osten stammen mussten.
Er nahm eine der Schalen sehr vorsichtig auf und sog den Duft des Tees ein. Er war köstlich, sehr ungewöhnlich und faszinierend.
»Würde es Euch etwas ausmachen, mir zu sagen, wie Ihr herausgefunden habt, dass ich in Euer Schlafzimmer eingedrungen bin?«, fragte er. »Ich dachte, Ihr säßet in der Bibliothek und wäret in ein Buch vertieft.«
»Ich habe Euch bereits seit einigen Tagen erwartet.«
Ambrose wäre beinahe die elegante kleine Schale aus den Fingern geglitten. »Ihr habt mich bemerkt?«
Stoner nickte gelassen, als wäre das keine große Sache. Für Ambrose hingegen war das fast unerhört. Keines seiner früheren Opfer hatte ihn jemals entdeckt, während er ihnen gefolgt war und sich Notizen über ihre Gewohnheiten gemacht hatte.
»Ich kann nicht behaupten, dass es mich besonders überraschte, dass Ihr heute Abend hier aufgetaucht seid«, erklärte Stoner. »Nach dem, was ich in den Zeitungen über den Geist gelesen habe, hatte ich bereits vermutet, dass er seine Opfer sehr gründlich studiert haben muss, bevor er in ihre Häuser eindrang. Eure Methoden interessierten mich. Den meisten Einbrechern mangelt es entweder an Intelligenz oder an Geduld, um so sorgfältig an ihr Unterfangen heranzugehen. Sie sind im Großen und Ganzen eher Opportunisten als Strategen.«
»Wie ich Euch schon sagte, Sir, ich bin nicht der Geist. Ich habe nur versucht, ihn nachzuahmen, wegen einer Wette. Wie Ihr selbst seht, bin ich ein sehr schlechter Nachahmer.«
Stoner trank nachdenklich einen Schluck Tee. »Im Gegenteil. Ihr habt Euer kleines Vorhaben recht geschickt ausgeführt. Wer hat Euch dieses Handwerk gelehrt?«
»Ich bin ein Gentleman, Sir. Ich würde mich niemals dazu erniedrigen, ein Handwerk auszuüben.«
Stoner lachte.
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