Verfuehrung im Mondlicht
»Das dürfte eine sehr einseitige Konversation werden, wenn Ihr darauf besteht, all meinen Fragen auszuweichen.«
»Verzeiht mir, Sir. Ihr habt mir eine Frage gestellt, und ich habe versucht, sie zu beantworten.«
»Die Strategie der unaufrichtigen Ernsthaftigkeit ist bei mancher Gelegenheit zweifellos eine sehr nützliche Taktik, und Ihr scheint ein großes Talent dafür zu besitzen. Trotzdem versichere ich Euch, dass es sinnlos wäre, sie heute bei mir anzuwenden.«
Zum ersten Mal fragte sich Ambrose, ob John Stoner vielleicht verrückt war.
»Ich verstehe nicht ganz, Sir.«
»Vielleicht bin ich ja falsch an diese Sache herangegangen.« Stoner hielt die zierliche kleine Teeschale auf eine Art und Weise zwischen den Fingern, die sowohl Eleganz als auch Beherrschung ausdrückte. »Da Ihr nicht geneigt zu sein scheint, mir Eure Geschichte zu erzählen, werde ich Euch meine verraten. Wenn ich damit fertig bin, werden wir über Eure Zukunft sprechen.«
13
Die Büros der Agentur Jervis lagen im obersten Stockwerk eines hässlichen Steinhauses in einem schäbigen Stadtteil Londons. Kurz nach Mitternacht verschaffte Ambrose sich mit einem Dietrich Zugang zu den Räumlichkeiten.
Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und blieb einen Moment reglos stehen. Er genoss die vertraute Erregung, die ihn durchströmte. Vermutlich war ihm die Sucht nach dieser eisigen Energie angeboren, die ihn in solchen Momenten packte. Sie stachelte seine Sinne an und verlieh ihm das Gefühl, fliegen zu können, wie einer dieser großen Nachtvögel. Der Nachteil war, dass dieses Gefühl wie jede andere starke Droge Nachwirkungen hatte. Es würde eine Zeit lang dauern, bis diese Erregung aus seinem Blut verschwand.
Die Büros waren offenbar schon recht lange geschlossen gewesen. Ein unsichtbares Miasma aus abgestandener Luft und ein anderer, weit weniger angenehmer Geruch hingen in dem Raum.
Es fiel genug Mondlicht durch das kahle Fenster, damit Ambrose erkennen konnte, dass sich niemand in diesem Raum befand. Doch er hätte eine große Summe darauf gewettet, dass sich erst kürzlich hier ein Mord ereignet hatte.
Der Boden um den Schreibtisch herum war mit zerbrochenem Glas, Papieren und Stiften übersät. Hier hatte ein Kampf stattgefunden.
Ambrose durchsuchte die Schreibtischschubladen, fand jedoch nichts Ungewöhnliches darin, sondern nur das Übliche: Notizbücher, Büromaterial, Tintenflaschen und Siegelwachs.
In der untersten Schublade lag ein Muff.
Er ging zu den Karteischränken und öffnete den ersten. Ambrose entzündete ein Streichholz und durchsuchte den ersten Ordner rasch und systematisch.
Es überraschte ihn nicht sonderlich, dass er keine Akte einer Frau namens Bartlett fand. Immerhin hatte nichts darauf hingedeutet, dass sie durch diese Agentur vermittelt worden war. Die Tatsache jedoch, dass auch keinerlei Unterlagen über eine Concordia Glade oder eine Irene Colby, dem Na
men, den Concordia bei ihrer vorigen Anstellung angegeben hatte, zu finden waren, war dagegen höchst interessant.
Er schob die Schubladen zu, löschte das Licht und dachte eine Weile nach.
Dann ging er zu dem Schreibtisch zurück und zog die unterste Schublade wieder auf. Er nahm den Muff heraus. Darin befand sich eine kleine Tasche, doch als er seine Finger hineinsteckte, stießen sie nur auf ein Taschentuch.
Ambrose wollte den Muff gerade in die Schublade zurücklegen, als er innehielt. Etwas an ihren Proportionen machte ihn stutzig. Sie waren irgendwie falsch. Die Schublade war für die Größe ihrer Seitenwände zu flach.
Er hockte sich hin, fuhr mit seiner rechten Hand darin herum und tastete vorsichtig mit den Fingerspitzen am Rand entlang. Die kleine Einbuchtung befand sich ganz hinten in der Lade. Sie wäre einem ungeübten Beobachter selbst bei hellem Tageslicht kaum aufgefallen.
Ambrose besaß jedoch einschlägige Erfahrung mit falschen und geheimen Schubladen.
Er drückte vorsichtig zu und fühlte, wie eine winzige Feder reagierte. Der Boden der Schublade klappte mit einem leisen Quietschen der verborgenen Gelenke auf, und darunter kam ein Geheimfach zum Vorschein.
Es war leer bis auf eine Zeitung, die zweimal zu einem kleinen Rechteck gefaltet worden war.
Er nahm sie heraus und klappte sie einmal auf. Dann entzündete er ein weiteres Streichholz und las die ihm vertraute Kopfzeile. The Flying Intelligencer war ein besonders grelles Exemplar der Sensationspresse, das vor allem für seine dramatischen Berichte über blutige
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