Verfuehrung im Mondlicht
lesen.«
»Verstehe.« Ambrose dachte kurz darüber nach. »Ich würde mir an Eurer Stelle keine Sorgen machen. Ich erwarte, dass Ihr feststellen werdet, sobald Ihr Gelegenheit dazu habt, die Lektüre zu beenden, dass Mr. Dornfeld hinter Lucinda Rosewood herläuft, sich dafür entschuldigt, dass er sie ausgenutzt und verführt hat, und sie bittet, ihn zu heiraten.«
»Glaubt Ihr das wirklich?«, fragte Hannah eifrig.
»Sei nicht albern!«, wies Phoebe sie barsch zurecht. »Gentlemen heiraten nie Damen, die sie ruiniert haben, es sei denn, die fragliche Lady wäre zufällig eine reiche Erbin. Das weiß doch jeder.«
»Das stimmt«, meinte Edwina. »Verarmte Damen, die ruiniert sind, erwartet in Romanen ein ebenso schlimmes Ende wie im wahren Leben.«
Theodora runzelte die Stirn. »Das ist nicht fair. Eigentlich sollte es mit den Herren ein schlimmes Ende nehmen. Jedenfalls sagt Miss Glade das immer.«
»Sie hat vielleicht Recht, im höchsten moralischen und
philosophischen Sinne, aber Tatsache ist, dass die Welt so nicht funktioniert«, verkündete Edwina. Sie sah Ambrose eindringlich an. »Aber genau wegen dieser fortschrittlichen Ansichten könnte Miss Glade einem weltgewandten Gentleman unabsichtlich einen falschen Eindruck vermitteln.«
»Ihr habt Euren Standpunkt unmissverständlich klar gemacht«, versicherte Ambrose.
Das schien Edwina zu befriedigen. Sie sah die anderen Mädchen an. »Wir sollten besser in die Bibliothek gehen, bevor Miss Glade nach uns sucht.«
»Ich kann es kaum erwarten, dieses Kabinett der Kuriositäten zu sehen«, verkündete Phoebe.
»Und die Poesiebände!«, rief Theodora aus.
Ambrose stand auf, um ihre Stühle zurückzuziehen, doch die Mädchen waren schon aufgesprungen und rannten zur Tür.
»Einen Moment noch bitte, wenn Ihr so freundlich wärt«, sagte Ambrose ruhig.
Sie blieben gehorsam vor der Tür stehen und sahen ihn fragend an.
»Ja, bitte, Sir?«, meinte Edwina.
»Ihr habt alle in einem Waisenhaus gelebt, bevor Ihr auf die Burg geschickt wurdet, stimmt das?«
Es war, als hätte sich eine dunkle Wolke vor die Fenster des sonnigen Frühstücksraums geschoben. Alles Strahlen war aus den Gesichtern der Mädchen verschwunden.
»Das ist richtig, Sir«, antwortete Theodora kleinlaut.
»Seid Ihr alle von derselben Institution gekommen?«, fragte er.
»Ja, Sir«, flüsterte Phoebe.
»Bitte, schickt uns nicht wieder an diesen fürchterlichen
Ort zurück.« Hannah ballte die Hände an den Seiten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wir werden auch sehr, sehr folgsam sein.«
Theodoras Mund zitterte. Phoebe blinzelte mehrmals, und Edwina schnüffelte.
Ambrose kam sich vor wie der Menschen fressende Riese in einem Gräuelmärchen. »Was für ein verdammter Unsinn!«
Seine Worte lösten einen sichtlichen Schreck auf vier Mienen aus. Er rief sich ins Gedächtnis, dass man vor Damen nicht fluchte, schon gar nicht vor jungen.
»Verzeihung.« Er zog ein Taschentuch heraus und drückte es Hannah in die Hand. »Trockne dir die Tränen ab, Mädchen. Niemand denkt daran, Euch wieder ins Waisenhaus zurückzuschicken«, erklärte er.
»Danke, Sir.« Hannah machte einen eleganten kleinen Knicks und drehte sich wieder zur Tür um.
Theodora, Phoebe und Edwina machten Anstalten, ihr zu folgen.
»Eine Frage noch.«
Die vier Mädchen erstarrten wie vier Kaninchen dem großen bösen Wolf gegenüber.
Theodora schluckte. »Was für eine Frage, Sir?«
»Ich würde gern den Namen dieses Waisenhauses erfahren, in dem Ihr gelebt habt, bevor Ihr auf die Burg geschickt worden seid.«
Sie dachten nach, ganz offensichtlich, weil sie nicht genau wussten, worauf er hinauswollte.
Schließlich fasste sich Edwina ein Herz. »Es heißt >Winslow-Armenschule für Mädchen<.«
»Und die Adresse?«, hakte er nach.
»Rexbridge Street Nummer sechs«, sagte Phoebe zögernd, als müsste sie sich jedes einzelne Wort aus dem Mund reißen. »Es ist ein schrecklicher Ort, Sir.«
Hannah weinte nicht mehr. Stattdessen war sie leichenblass. »Miss Pratt, die Schulleiterin, hat jede von uns bestraft, die nicht die Goldenen Regeln für Dankbare Mädchen befolgte, indem sie uns in den Keller sperrte. Manchmal mussten wir tagelang dort unten im Dunkeln aushalten. Es ist sehr ... angsteinflößend.«
Dieser Keller war die Quelle ihrer Albträume, das wurde Ambrose schlagartig klar.
»Das genügt«, erklärte er. »Keine von Euch wird gegen Euren Willen auf irgendeine Institution geschickt.«
Die
Weitere Kostenlose Bücher