Verfuehrung in Florenz
übrig, als ihm zu folgen.
Der Himmel über ihnen schimmerte in einem intensiven Blau, während sie durch schmale Gassen und über kleine Plätze gingen. Überall drängten sich Touristen, und Pärchen schlenderten langsam an den Kanälen entlang. Die melancholische Schönheit der Stadt verstärkte Eves Verzweiflung, während sie hinter Raphael durch das Gedränge hastete. Im Gegensatz zu ihnen beiden schienen die anderen alle Zeit der Welt zu haben, weil sie entweder Urlaub machten oder verliebt waren.
Der Zorn, mit dem sie sich im Laden das Kleid vom Leib gerissen und den Lippenstift abgewischt hatte, schwand allmählich. Sie klammerte sich jedoch verzweifelt an ihre Empörung. Schwand sie, dann blieb ihr nichts weiter als Schmerz und Verwirrung.
Unvermittelt gelangten sie auf einen riesigen, von Kolonnaden umgebenen Platz. Erst nachdem sie schon ein Stück gegangen waren, begriff Eve, wieso ihr der gewaltige und atemberaubend schöne Anblick vertraut vorkam.
„Der Markusplatz“, sagte sie andächtig und blieb plötzlich stehen.
Raphael drehte sich um. Eve rührte sich nicht von der Stelle und sah sich bewundernd um. Jetzt war sie wieder sie selbst – erfrischend und ohne jene künstlich elegante Schönheit, die ihn unbeschreiblich gestört hatte. Es versetzte ihm einen schmerzlichen Stich ins Herz.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er knapp.
„Nein, nein. Ich habe nur nicht gleich erkannt, wo wir sind. Das ist alles.“
„Piazza San Marco, Ort des teuersten Cappuccino der Welt“, bemerkte er verächtlich.
„Erstaunlich.“
„Ja, allerdings, es ist erstaunlich, dass Touristen immer wieder in diese Falle gehen.“
Der Himmel hatte sich verdunkelt, und das Licht in der Lagunenstadt schimmerte eigenartig gelblich. Die Hitze war drückend, und von der Wasserseite hörte man fernen Donner grollen. Die Menge auf dem Platz suchte Schutz in den umliegenden Cafés. Nur Eve und Raphael blieben mitten auf der Piazza stehen.
Die Luft um sie herum knisterte in der Spannung des heraufziehenden Gewitters. Und Eves Augen schienen vor Zorn zu blitzen.
„Von dir erwarte ich selbstverständlich nicht, dass du den Platz auch nur im Geringsten eindrucksvoll oder schön findest!“, fauchte sie ihn an. „Du stehst natürlich weit darüber, nicht wahr, Raphael?“
„Ich stehe darüber?“, entgegnete er gedämpft. „Nein, wenn es um wahre Schönheit geht, reagiere ich wie jeder andere.“ Er kam einen Schritt näher. Nichts regte sich in seinem Gesicht. „Ich ertrage es allerdings nicht, wenn Schönheit herabgesetzt und vor den Massen zur Schau gestellt wird.“
Das traf sie so, dass sie nach Luft rang. „Du arroganter Widerling! Du wirfst mit dem Lazaro – Geld um dich wie eine Märchenfee und willst mich wie Aschenputtel herausputzen, damit ich dich bei dieser verdammten Preis verleihung nicht blamiere. Und dann beschwerst du dich, weil dir das Ergebnis nicht gefällt! Nun, da hast du dein Geld eben zum Fenster hinausgeworfen! Ich bin keine von deinen glamourösen und tollen Hochglanz-Frauen, und ich werde auch nie eine sein!“
Die ersten dicken Regentropfen fielen vom verdunkelten Himmel. In dem unnatürlich fahlen Licht wirkte Raphaels Gesicht blass. Freudlos auflachend fuhr er sich durchs Haar.
„Du begreifst es einfach nicht, oder? Ich will gar nicht, dass du eine meiner tollen Hochglanz-Frauen bist!“
Sie starrte ihn an, als hätte er sie geohrfeigt, schluchzte auf und wollte weglaufen, doch er packte sie und hielt sie am Handgelenk fest, gerade als der erste gewaltige Blitz über den Himmel zuckte.
„Du willst mich nicht?“, schrie sie. „Dann hör auf, mit mir zu spielen, und lass mich in Ruhe! Wenn du mich nicht willst, nimm deine Hand weg!“
„Nein!“, rief er. „Ich möchte nicht, dass du dich in eine dieser Frauen verwandelst, weil du perfekt bist! Eve, du bist …“
Anstatt den Satz zu vollenden, küsste er sie, als ginge es um sein Leben. Der warme Regen mischte sich mit den Tränen auf ihren Wangen, und Eve schmeckte nach Salz und Erde, ursprünglich und unbeschreiblich erfrischend. Der Kuss kam Raphael vor wie Wasser nach einer langen Durststrecke.
Donner erschütterte den Platz, es regnete heftiger. Raphael beendete den Kuss, legte Eve die Hände an die Wangen und betrachtete sie gepeinigt. Sie stand im strömenden Regen, die dünne Bluse klebte ihr nass am Körper, und sie erinnerte ihn an ein verlorenes Waisenkind. Er stöhnte auf. Nachdem sie sich das Kleid vom Leib
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