Verfuehrung in Florenz
schlug so heftig, dass sie schon fürchtete, man müsse es hören. Vielleicht sollte sie umkehren und die alte Frau nach dem Weg fragen, doch dafür war sie zu stolz, und ihr Italienisch reichte auch bestimmt nicht aus. Hastig ging sie weiter.
Hinter dem Durchgang lag ein kleiner sonnenbeschienener Platz mit einer Bar. Die Spitze des Campanile tauchte nun rechts von ihr hinter den Dächern auf. Also hatte sie fast einen vollen Kreis beschrieben und ging endlich in Richtung des Markusplatzes. Sie atmete dankbar und erleichtert auf und überlegte gerade, ob sie in der Bar einen Tee bestellen oder weitergehen sollte, als sie erstarrte.
Ihr wurde so schwarz vor Augen, dass sie schon dachte, ohnmächtig zu werden. Blindlings tastete sie nach der Mauer und stützte sich daran ab. Der Schleier vor ihren Augen hob sich wieder, und sie überzeugte sich davon, dass sie richtig gesehen hatte.
Raphael saß in einem Café und beugte sich über den Tisch hinweg zu einer zerbrechlich wirkenden dunkelhaarigen Frau, deren Hand er hielt. Er hatte Eve fast den Rücken zugekehrt, doch sie erkannte ihn am Haar, an dem dunkelblauen Hemd und am Halbprofil so eindeutig, als hätte er sich zu ihr umgedreht. Es gab auch keinen Zweifel daran, dass er mit der Frau am Tisch sehr vertraut war. Er hielt ihre Hände zwischen seinen, neigte den Kopf zu ihr und sprach eindringlich auf sie ein. Das war keinesfalls ein harmloses Treffen mit einer alten Bekannten.
Es war auch kein berufliches Treffen.
Und dann erhob er sich halb von seinem Stuhl, legte der Frau die Hände an die Wangen und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Eve schlug die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen, wirbelte herum und lief weg.
„Verlange das nicht von mir, Raphael, bitte!“
Raphael drückte Catalinas Hände fester.
„Ich würde es nicht tun, wenn ich eine andere Möglichkeit hätte, um Luca hinter Gitter zu bringen. Du bist unsere einzige Chance, Cat. Die anderen Mädchen, die in seine Fänge geraten sind, gehören noch zur Drogenszene und wären keine glaubwürdigen Zeugen, oder sie sind tot. Das hast du selbst gesagt. Tot wie deine Freundin … Ellie. So hieß sie doch, oder? Du würdest zuverlässigen Schutz erhalten und auch mit Respekt behandelt werden. Das verspreche ich dir.“
Er fühlte, wie ihr Widerstand allmählich schwand.
„Ich vertraue dir, Raphael. Also gut“, flüsterte sie.
„Dann machst du es?“
„Ja, ich werde es versuchen.“
Raphael wäre am liebsten vor Erleichterung jubelnd aufgesprungen. Er beschränkte sich jedoch darauf, sich über den Tisch zu beugen und Catalina aus Dankbarkeit einen Kuss zu geben. Doch als er sich wieder setzte, wurde sie blass und starrte entsetzt an ihm vorbei.
Plötzlich sprang sie auf und kippte dabei fast den Tisch um. Mit weit aufgerissenen Augen und aschfahlem Gesicht blickte sie auf einen Punkt hinter ihm.
Raphael war sofort bei ihr und nahm sie in die Arme.
„Cat! Cat, was ist denn? Was hast du?“
Zitternd zeigte sie zur anderen Seite des Platzes. „Sie war da! Das war sie! Sie hat mich angesehen!“
Raphael warf einen Blick in die Richtung, in die sie zeigte. „Wer?“
„Ellie!“
„Ellie? Deine tote Freundin?“
Catalina nickte, barg das Gesicht an seiner Schulter und schluchzte verzweifelt. Während er ihr beruhigend auf den Rücken klopfte und tröstend auf sie einredete, überschlugen sich seine Gedanken.
Er wusste, dass auch nach einer Sucht Halluzinationen vorkamen. Wahrscheinlich hatte das Gespräch über die Vergangenheit bei Catalina belastende Gefühle ausgelöst. Sie war offenbar doch nicht so gesund, wie er angenommen hatte.
„Da ist niemand, Cat, ganz ruhig. Niemand ist da. Komm schon, cara, ich bringe dich nach Hause.“
Er nahm Geld aus der Tasche, legte es auf den Tisch und führte die verstört weinende Catalina weg.
Einen Moment dachte er an Eve, die im Palazzo auf ihn wartete, und an den verlockenden Anblick, den sie heute Morgen auf dem Bett geboten hatte. Er fluchte in sich hinein. Es sah ganz so aus, als würde diese Angelegenheit doch noch ziemlich lange dauern.
12. KAPITEL
Eve lief einfach, ohne zu überlegen, wohin sie sich wenden sollte. Fort, nur fort! Die Tränen nahmen ihr fast die Sicht, aber sie merkte, dass sie die kleine Brücke von vorhin wieder überquerte. Vorhin – das schien eine Ewigkeit her zu sein. Es überraschte sie, als sie die alte Frau an dem schmalen Weg neben dem Kanal überholte. Wieso war alles dermaßen absurd
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