Verführung in Manhattan
Stanislaski fanden mich. Sie setzte sich zu mir auf den Boden und redete mir gut zu. Sie brachte mir eine Decke und ein Kissen und blieb bei mir, bis der Krankenwagen kam. Anschließend fuhr sie mit ins Krankenhaus und übernahm alle Kosten für meine Behandlung. Inzwischen hat sie mich schon dreimal besucht.“
„Meinen Sie nicht, dass Hayward Enterprises – und damit Sydney Hayward – schuld daran ist, dass Sie jetzt hier liegen müssen?“
„Meine schlechten Augen und das Loch im Boden sind schuld daran“, antwortete Mrs. Wolburg ruhig. „Eines sage ich Ihnen ganz klar – und ich habe es auch schon den Reportern erklärt, die meine Familie belästigen: Ich habe keine Veranlassung, Hayward Enterprises zu verklagen. Miss Hayward hat sich von Anfang an um mich gekümmert. Hätte die Firma die Zahlungen hinausgezögert oder versucht, die Tatsachen zu verdrehen, wäre es etwas anderes. Aber sie hat sich korrekt verhalten. Es könnte gar nicht besser sein. Sydney Hayward ist eine anständige Frau. Solange sie die Firma leitet, geht dort bestimmt alles mit rechten Dingen zu. Ich bin froh, in einem Haus zu wohnen, dessen Eigentümer ein Gewissen besitzt.“
Sydney schaltete den Fernseher nach Abschluss des Interviews wieder aus und wartete schweigend ab.
„Eine solche Aussage bekommt man nicht auf Bestellung“, erklärte Mavis schließlich. „Ihre Methoden mögen zwar ungewöhnlich sein, Sydney, und ich bin davon überzeugt, dass noch einige Konsequenzen auf uns zukommen, aber ich nehme an, unsere Aktionäre werden alles in allem zufrieden sein.“
Die Diskussion zog sich noch eine halbe Stunde hin, aber die Krise war vorüber.
Sobald Sydney wieder in ihrem Büro war, griff sie zum Telefon. Erst nach dem zwölften Läuten nahm jemand ab.
„Hallo?“
„Mikhail?“
„Nein, er ist hinten auf dem Flur.“
„Oh, dann …“
„Bleiben Sie am Apparat.“ Es klickte in der Leitung, dann rief eine männliche Stimme Mikhails Namen. Sydney kam sich ziemlich töricht vor und wartete.
„Ja, bitte?“
„Mikhail, hier ist Sydney.“
Lächelnd holte er einen Krug mit Eiswasser aus dem Kühlschrank. „Hallo!“
„Ich habe gerade das Mittagsmagazin gesehen und nehme an, Sie wissen, was ich meine.“
„Ja, ich habe es ebenfalls während der Pause gesehen. Und?“
„Haben Sie Mrs. Wolburg darum gebeten?“
„Nein.“ Er trank ein halbes Glas Wasser. „Ich habe ihr von Ihren Schwierigkeiten erzählt, und sie kam selbst auf diesen Gedanken. Es war eine sehr gute Idee.“
„Ja, das war es. Und ich schulde Ihnen Dank dafür.“
„Meinen Sie?“ Er dachte einen Moment nach. „Dann zahlen Sie ihn ab.“
Eigentlich hatte sie angenommen, dass er ihren Dank zurückweisen würde. „Was meinen Sie damit?“ fragte sie zögernd.
„Zahlen Sie ihn ab, Miss Hayward, und essen Sie Sonntagabend mit mir.“
„Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat.“
„Sie sind mir noch etwas schuldig“, erinnerte er sie. „Und ich wünsche mir als Dank ein Essen mit Ihnen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Ich hole Sie ungefähr um vier Uhr ab.“
„Um vier Uhr? Zu einem Abendessen?“
„Stimmt.“ Er zog einen Zimmermannsstift aus der Tasche. „Wie lautet Ihre Privatadresse?“
Er stieß einen leisen Pfiff aus, als Sydney sie ihm widerstrebend nannte, und notierte die Adresse an derWand. „Und Ihre Telefonnummer? Für den Fall, dass etwas dazwischenkommt.“
Widerstrebend gab Sydney ihm die Nummer. „Eines möchte ich ganz deutlich sagen …“
„Das können Sie tun, wenn ich Sie abhole. Ich stelle die Forderung, und Sie bezahlen.“ Impulsiv zog er ein Herz um ihre Anschrift und die Telefonnummer. „Bis Sonntag, Boss.“
6. KAPITEL
P rüfend betrachtete Sydney ihr Gesicht im Drehspiegel. Natürlich ist dies kein intimes Rendezvous, sagte sie sich wohl zum hundertsten Mal. Sie bewies Mikhail ihre Dankbarkeit, und die war sie ihm schuldig, ganz gleich, was sie für ihn empfand.
Sie solle sich nicht zu elegant anziehen, hatte er gesagt. In dieser Beziehung verließ sie sich auf sein Wort. Ihr Kleid war wirklich schlicht. Der tiefe Ausschnitt und die feinen Träger waren ein Zugeständnis an die Hitze. Der hauchdünne leichte Stoff war stahlblau. Was allerdings nicht hieß, dass sie sich an Mikhails Rat gehalten hätte und deshalb eine freundlichere Farbe trug.
Trotzdem war das Kleid neu – sie hatte beinahe zwei Stunden verzweifelt danach gesucht, aber nur, weil sie sowieso
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