Verführung in Manhattan
Sydneys Schulter auf das Durcheinander im Garten. „Ich finde es vernünftig, dass Sie das Ganze aus sicherem Abstand betrachten.“
Sydney drehte sich zu ihr, und Natasha bemerkte die Tränen in ihren Augen. „Bitte, seien Sie nicht traurig. Die anderen wollten Sie bestimmt nicht ausschließen.“
„Nein, natürlich nicht.“ Verlegen versuchte Sydney, ihre Tränen zurückzuhalten. „Ich bin nicht traurig. Ich musste nur plötzlich an ein schönes Gemälde oder an herrliche Musik denken und habe mich gehen lassen.“
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Nach dem, was Natasha inzwischen von Spence wusste, hatte es in Sydneys Jugend weder Softballspiele noch Huckepackreiten oder fröhliche Streitgespräche gegeben.
„Sie lieben Mikhail sehr“, sagte sie leise.
Verlegen spielte Sydney mit den Fingern. Sie wusste nicht, wie sie auf diese schlichte Erklärung reagieren sollte.
„Natürlich geht es mich nichts an“, fuhr Natasha fort. „Aber mein Bruder steht mir sehr nahe, und ich fühle, dass Sie etwas Besonderes für ihn sind. Sie haben sicher längst gemerkt, dass er kein einfacher Mensch ist.“
„Nein, sicher nicht.“
Natasha blickte wieder hinaus und stellte fest, dass ihr Mann sich mit Freddie und Brandon gleichzeitig im Gras wälzte.
„Macht er Ihnen Angst?“
Sydney wollte es gerade leugnen, dann antwortete sie nachdenklich: „Die Wucht seiner Gefühle macht mir manchmal Angst. Er empfindet so heftig und kann seine Gefühle spontan ausdrücken. Ich habe mich nie von Gefühlen leiten und erst recht nicht fortreißen lassen. Manchmal überwältigt er mich geradezu, und das macht mich nervös.“
„Er gibt sich, wie er ist, und verstellt sich nicht“, sagte Natasha. „Soll ich Ihnen einmal etwas zeigen?“ Ohne Sydneys Antwort abzuwarten, ging sie zu einem Regal an der Wand.
Entzückend geschnitzte, bemalte Figuren standendort. Manche waren so winzig und so hübsch, dass sie kaum von Menschenhand geschaffen sein konnten.
Ein Häuschen mit einem Pfefferkuchendach und Läden aus Zucker stand neben einem hohen silbrigen Turm, aus dessen oberen Fenster das goldene Haar einer wunderschönen Frau hinabfiel. Ein hübscher Prinz kniete vor einem handtellergroßen Bett mit einer schönen schlafenden Prinzessin.
„Diese hat er mir gestern mitgebracht.“ Natasha nahm die bemalte Figur einer Frau am Spinnrad in die Hand. Das Gerät stand auf einem winzigen Podest, das mit Strohbüscheln und Goldsprenkeln bedeckt war. „Die Müllerstochter aus ,Rumpelstilzchen‘.“ Versonnen strich sie über die zarten Fingerspitzen, die die Spindel hielten.
„Alle sind entzückend. Es scheint eine eigene Märchenwelt zu sein.“
„Mikhail hat magische Hände“, stimmte Natasha ihr zu. „Er schnitzt mir diese Figuren, weil ich die englische Sprache durch das Lesen von Märchen gelernt habe. Andere Arbeiten von ihm sind kraftvoller, erotischer, kühner, ja vielleicht sogar beängstigender. Aber alle sind glaubhaft, denn sie sind aus seinem Inneren entstanden.“
„Ich verstehe. Sie möchten mir zeigen, wie einfühlsam Mikhail ist. Das ist nicht nötig. Ich kenne keinen Mann, der derart freundlich und mitfühlend ist.“
„Ich dachte, Sie hätten Angst davor, er könnte Ihnen wehtun.“
„Nein“, antwortete Sydney leise, „ich fürchte, ich tue ihm weh.“
„Hören Sie, Sydney …“
In diesem Augenblick schlug die Hintertür und Schritte hallten über den Flur. Erleichtert atmete Sydney auf. Sie war es nicht gewöhnt, ihre Gefühle offen auszusprechen, und sie wunderte sich, dass es ihr gegenüber einer Frau gelang, die sie noch nicht einmal einen Tag kannte.
Diese Familie hat etwas Besonderes an sich, stellte sie fest, beinahe etwas Märchenhaftes, das sich auch in den Figuren ausdrückt, die Mikhail für seine Schwester geschnitzt hat. Vielleicht lag es daran, dass sie alle glücklich waren.
Der Nachmittag ging fröhlich weiter. Endlich saßen die Männer erschöpft bei einem Glas Bier im Schatten, während die Frauen in der Küche das Abendessen vorbereiteten.
„Wir haben Vera, unserer Haushälterin, diesen Monat Urlaub gegeben, damit sie ihre Schwester besuchen kann“, erzählte Natasha und zerkleinerte eine große Menge Gemüse. „Würden Sie bitte schon die Weintrauben waschen?“
Bereitwillig folgte Sydney den Anweisungen. Sie wusch das Obst, holte die benötigten Zutaten und rührte hin und wieder in einem Topf. Sie merkte, dass sie von drei erfahrenen Köchinnen umgeben
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