Verführung pur
kannte den Fremden nicht, und doch kam ihr sein Gesicht seltsam vertraut vor. Er war sehr groß, hatte dunkle Haare, braune Augen und ein Lächeln, das sie an irgendjemanden erinnerte.
“Hallo, Seth”, sagte der Fremde, stellte seinen Rucksack ab und kam mit drei Riesenschritten auf sie zu. “Falls du mal wieder Hals über Kopf die Stadt verlässt, schalte wenigstens dein Handy ein.”
Bei seinem strengen Tonfall hätte Mia sich nicht gewundert, wenn er Seth direkt einen Kinnhaken verpasst hätte. Stattdessen umarmten sich die beiden Männer und klopften sich gegenseitig auf den Rücken.
“Ich wende bloß die Tricks an, die du mir beigebracht hast, du Windhund”, sagte Seth lachend. Dann wandte er sich an Mia: “Darf ich euch bekannt machen? Mein Bruder Jesse. Jesse, das ist Mia Quentin.”
Kein Wunder, dass ihr das Gesicht vertraut vorkam. Er hatte dieselben Züge wie Seth, wenn er auch weniger ernst wirkte. Nun, da sie nebeneinanderstanden, sah man es sofort. Außerdem war Seth ein ganzes Stück größer.
Jesse war der Typ Mann, der sich kein Vergnügen entgehen ließ. Er kam mit ausgestreckten Armen auf Mia zu und wollte sie offenbar umarmen. Sie hielt ihm eine Hand entgegen, um die Begrüßung auf ein Händeschütteln zu reduzieren.
Das war jedoch gar nicht nötig, da Seth in diesem Moment dazwischenfuhr. “Und Mia gehört mir!”
Jesse seufzte dramatisch und sagte grinsend: “Wie finde ich denn das? Ich fahre dein Boot den ganzen Weg hierher, nur um feststellen zu müssen, dass du dir das schönste Mädchen von Twin Palms schon unter den Nagel gerissen hast?” Er schüttelte Mias Hand und zwinkerte ihr zu. “Freut mich, dich kennenzulernen, Mia.”
“Ganz meinerseits”, sagte sie lachend, bevor sie sich daranmachte, das Werkzeug zusammenzupacken. Ihre Unterhaltung mit Seth musste sie wohl auf später vertagen, was ihr nicht direkt ungelegen kam, da sie ohnehin nicht in der Stimmung war, über ihre gemeinsame Zukunft zu reden. “Warum geht ihr zwei nicht irgendwo etwas essen? Am Strand gibt es ein paar nette kleine Lokale, und ihr könntet euch in Ruhe unterhalten.”
Jesse bückte sich, um ihr mit dem Werkzeug zu helfen, und sagte: “Ich habe mich schon für den Griechen entschieden, und du bist selbstverständlich eingeladen, Mia. Außerdem brauche ich dringend den Rat einer Frau. Später kann ich dem Banker immer noch erzählen, was es an geschäftlichen Neuigkeiten gibt.”
“Dem Banker?”, wiederholte sie erstaunt. Das war also sein Spitzname für Seth. Mia lächelte vor sich hin, während Jesse den Werkzeugkasten zur Seite stellte.
Seth versetzte seinem Bruder einen Knuff in die Seite, woraufhin Jesse die Augen verdrehte und lachte. Mia fragte sich, ob ihre Mutter und sie sich vielleicht auch besser verstünden, wenn sie sich dann und wann einen Knuff verpassten.
“Ja, dem Banker. Für Seth spielt Geld eine wesentliche Rolle im Leben, musst du wissen.”
“Na, dann sollten wir
ihn
doch das Essen bezahlen lassen”, schlug sie prompt vor, um Jesse einen Vorgeschmack darauf zu geben, wie ihr weiblicher Rat normalerweise aussah.
Sie freute sich schon darauf, beim gemeinsamen Mittagessen einige interessante Dinge über Seth zu erfahren.
Eine Stunde später saßen sie unter einem rot-weiß gestreiften Sonnenschirm bei einem kühlen Bier vor dem griechischen Lokal, das Constantine's hieß. Wie erwartet, hatte Mia manches über Seth gehört, unter anderem, dass er der Brotverdiener für seine Mutter und seine Geschwister war, seit sein Vater die Familie im Stich gelassen hatte.
Kein Wunder, dass der Mann bindungsscheu ist, dachte Mia, schließlich hatte er schon genug Verantwortung getragen.
“Also, raus damit, Jesse”, sagte Seth. “Du bist doch nicht hergekommen, weil du mir mein Boot bringen wolltest, obwohl ich es gar nicht brauche.”
Jesse trank einen Schluck Bier und schnalzte mit der Zunge. “Nein. Ich bin auf der Flucht vor Kyra, wenn du es genau wissen willst.”
“Kyra?”
Seth weihte Mia ein. “Kyra ist seine Geschäftspartnerin, sofern man das so nennen kann. Und sie ist eine gute Freundin der Familie.”
“Schöne Freundin!”, schnaubte Jesse empört, sah aber dennoch so aus, als legte er Wert auf die Meinung seines großen Bruders.
“Kyra ist zuverlässiger und loyaler als die meisten anderen Frauen, mit denen du zu tun hattest”, wies sein Bruder ihn zurecht.
Für Mia war nicht zu überhören, dass Seth besagte Kyra schätzte. Sofort verspürte sie
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