Verführung pur
Leinwand. Sie konnte unmöglich gehört haben, was sie glaubte, gerade gehört zu haben.
“Entschuldige, ich war wohl eben ein wenig abwesend. Hast du gesagt,
du
willst eine Zwölftausend-Dollar-Hypothek aufkaufen?”
Noelle lächelte sie unsicher an und hob ihren Rucksack auf, der neben ihr im Sand lag. “Ja, das habe ich. Dabei fällt mir ein, ich muss überhaupt nicht extra nach Tampa fahren, sondern kann das Ganze auch von der hiesigen Bank aus abwickeln. Ich brauche mir noch nicht mal einen Tag freizunehmen.”
Sie schulterte ihren Rucksack, als wäre das Thema damit geklärt.
Mia merkte, wie langsam die Wut in ihr aufstieg. Immerhin war Wut besser als die Angst und Sorge, die sie den ganzen Tag umgetrieben hatten. Normalerweise hatte sie ihre Gefühle vollkommen unter Kontrolle, doch seit sie Seth begegnet war, fiel es ihr zusehends schwerer. Neuerdings überkam sie immer öfter das Verlangen, laut auszusprechen, was in ihr vorging. Und in diesem Moment ganz besonders.
Sie warf ihre Palette und den Pinsel auf das Holztablett vor der Staffelei und drehte sich zu Noelle um.
“Ich möchte nicht undankbar sein”, begann sie und atmete ein paar Mal tief durch, um nicht offen zu zeigen, wie sehr sie das mangelnde Vertrauen ihrer Mutter in ihre Fähigkeiten verletzt hatte. “Aber ich muss zugeben, dass ich mich frage, wie du so viel Geld ansparen konntest, seit du nach Twin Palms zurückgekommen bist. Außerdem wundert mich, dass du mit zwölftausend Dollar auf der Bank seit drei Jahren in einem Hotel wohnst. Falls du damit bei jedermann den Eindruck erwecken wolltest, dass dein Aufenthalt hier nur vorübergehend ist, ist dir das gelungen.”
Sie klang ungehaltener und wütender, als sie beabsichtigt hatte. Ihre Gefühle gingen mit ihr durch, und das kannte sie gar nicht von sich.
Noelle öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Mia ließ sie nicht zu Wort kommen.
“Du kannst nicht nach all den Jahren hier auftauchen, dich in die Familie drängen und glauben, dass alles wieder gut wird, sobald du mit Geld um dich wirfst.”
“Jetzt bist du unfair.”
“Nein, du bist unfair! Du wedelst mit deinem Scheckbuch und bringst mich damit um die Chance, diese Sache allein zu meistern.” Mia nahm die Leinwand von der Staffelei und klappte das Holzgestell mit einer Hand zusammen. “Ich weiß, dass ich dir bisher wenig Anlass gegeben habe, mir und meinen Fähigkeiten zu vertrauen, Mom. Aber ich brauche dein Geld nicht, weil ich plane, die Schulden mit dem Verkauf meiner Bilder zu begleichen. Trotzdem, danke für dein Angebot.”
Mia stapfte wütend davon und hörte, dass ihre Mutter ihr hinterherrief, mit Sturheit könne man keine Rechnungen bezahlen und dass sie lediglich helfen wolle.
Genau das war das Problem. Jeder wollte ihr helfen. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass endlich mal jemand an sie glaubte.
Ihre Großeltern meinten nach wie vor, sie wüssten am besten, wie der Beachcomber aussehen müsste, obwohl sie doch seit Jahren merken konnten, wie wenig Erfolg ihr Geschäftskonzept hatte. Seth wollte ihr die Renovierung aus der Hand nehmen und sie in einen goldenen Käfig setzen, damit sie sich die Fingernägel nicht schmutzig machte oder zu hart arbeitete. Und jetzt kam auch noch ihre Mutter, die ihre Ersparnisse opfern wollte und ihr damit unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie Mia nicht zutraute, das Geschäft zu retten.
Zum Glück hatte wenigstens Mia Vertrauen zu sich, und zwar genug, um sich gegen alle wohlmeinenden Menschen durchzusetzen.
Jedenfalls hoffte sie das.
Als sie mit gesenktem Haupt auf ihr Bootshaus zusteuerte, rannte sie Seth beinahe um, der ihr entgegenkam.
“Hallo, meine Schöne. Kann ich dir etwas abnehmen?” Er nahm ihr die Leinwand aus der Hand. “Ist alles in Ordnung?”
Solange sie nicht gleich vor ihm in Tränen ausbrach, schon. Vielleicht konnte sie sich einfach von ihm in die Arme nehmen lassen und an seiner Brust ein wenig Kraft tanken. Die hatte sie nämlich bitter nötig.
Da sie nicht sprechen konnte, weil sie einen dicken Kloß im Hals hatte, schüttelte sie nur energisch den Kopf. Wenn sie den Mund aufmachte, würde sie wahrscheinlich hemmungslos zu schluchzen anfangen.
Sofort legte er die Arme um sie und drückte sie fest an sich. Es tat ungemein gut, sich nach einem Höllentag wie diesem an seine Schulter zu lehnen. Seine Nähe tröstete sie über ihren Kummer hinweg, obwohl sie es beinahe beängstigend fand, wie viel er ihr in
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