Verfuehrung
Mann versucht damit, seine wahren Motive zu kaschieren.«
Julian war schockiert über die Vehemenz, mit der sie das sagte. »Du hast also Erfahrung damit«, erwiderte er mit frostiger Stimme.
»Das Ergebnis einer Verführung ist für die Frau dasselbe wie bei der Anwendung von Gewalt, nicht wahr?«
Sie strampelte ungeschickt von seinem Schoß und verhedderte sich dabei hoffnungslos in ihren Röcken. Die gebrochene Feder auf ihrem Hut neigte sich weiter nach vorn und hing schließlich über ihrem Auge. Sie wischte sie ungeduldig weg und brach sie dabei endgültig ab.
Julian packte sie am Handgelenk. »Antworte, Sophy. Hast du Erfahrung mit Verführung?«
»Die Frage kommt ein bißchen spät, nicht wahr? Du hättest dich danach erkundigen sollen, bevor du um meine Hand angehalten hast.«
Und mit einem Mal wußte er ohne jeden Zweifel, daß sie noch nie in den Armen eines Mannes gelegen war. Er sah die Antwort, die er hören wollte, in ihren Augen. Aber er hatte trotzdem den Zwang, sie dazu zu bringen, die Wahrheit zuzugeben. Sie mußte einfach lernen, daß er keine Ausflüchte dulden würde, keine Halbwahrheiten oder sonst irgendeine der Abermillionen Formen, die die Lügen einer Frau haben konnten.
»Du wirst mir antworten, Sophy.«
»Wenn ich das mache, wirst du dann alle meine Fragen über deine früheren Amouren beantworten?«
»Natürlich nicht.«
»Oh, Ihr seid so entsetzlich unfair, Mylord.«
»Ich bin dein Gemahl.«
»Und das gibt dir das Recht, unfair zu sein?«
»Es gibt mir das Recht und die Pflicht, das zu tun, was für dich das Beste ist. Eine Diskussion über meine früheren Liaisons würde keinem guten Zweck dienen, und das wissen wir beide.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Ich denke, es würde mir einen besseren Einblick in deinen Charakter geben.«
Er lachte. »Ich glaube, du hast ohnehin schon genug Einblick. Manchmal sogar zuviel. Jetzt erzähl mir aber von deinen Erfahrungen in der hohen Kunst der Verführung, Sophy. Hat irgendein Gutsbesitzer versucht, dich in die Buntkarierten zu zerren?«
»Wenn ja, was würdest du dagegen tun?«
»Dafür sorgen, daß er es bereut«, sagte Julian schlicht.
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Du würdest dich wegen einer früheren Indiskretion duellieren?«
»Wir kommen vom Thema ab, Sophy.« Seine Hand packte ihr Handgelenk fester, aber sehr behutsam, er spürte, wie zart ihre Knochen waren.
Sie schlug die Augen nieder. »Ihr braucht keine Sorge um die Rache meiner verlorenen Ehre zu haben, Mylord. Ich versichere Euch, ich habe ein außerordentlich ruhiges und wenig aufregendes Leben geführt. Ein etwas langweiliges Leben, um genau zu sein.«
»Das habe ich mir fast gedacht.« Er ließ ihre Hand los und lehnte sich in die Kissen zurück. »Jetzt erzähl mir, warum du Verführung mit Gewalt Antun gleichsetzt.«
»Ein wirklich unziemliches Gespräch, das wir eigentlich gar nicht führen sollten«, sagte sie leise.
»Ich habe den Eindruck, wir beide werden noch viele so unziemliche Gespräche führen. Manchmal bist du eine wirklich unziemliche junge Frau.« Er streckte die Hand aus und zog die Reste der gebrochenen Feder aus ihrem Strohhut.
Sie warf einen resignierten Blick auf die Federreste. »Du hättest meine unziemlichen Neigungen in Betracht ziehen sollen, bevor du darauf bestanden hast, mir einen Antrag zu machen.«
Julian drehte den Federkiel zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Das hab ich. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß sie ganz erträglich sind. Versuch nicht ständig, mich abzulenken, Sophy. Sag mir, warum du vor Verführung genausoviel Angst hast wie vor Gewalt.«
»Das ist eine sehr private Angelegenheit. Ich rede nicht darüber.«
»Mit mir wirst du darüber reden. Ich fürchte, ich muß darauf bestehen, Sophy. Ich bin dein Gemahl.«
»Hör bitte auf, deine Neugier mit dieser Tatsache zu verbrämen«, sagte sie bissig.
Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu und sah, wie bockig sie ihr Kinn vorgeschoben hatte. »Ihr beleidigt mich, Madame.«
Sie rutschte verlegen auf ihrem Sitz herum und versuchte, ihre Röcke zu ordnen. »Ihr seid sehr leicht zu beleidigen, Mylord.«
»Ach ja, meine übermäßige Arroganz. Ich fürchte, wir müssen beide lernen, damit zu leben, Sophy. Genau wie du lernen mußt, mit meiner übermäßigen Neugier zu leben.« Julian studierte den gebrochenen Federkeil und wartete.
Schweigen breitete sich in der schwankenden Kutsche aus. Das Geräusch der ächzenden Räder, des knarzenden
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