Verfuhrt auf dem Maskenball
sie die Hände vors Gesicht und schluchzte, als würde ihr das Herz brechen.
Besorgt legte Lizzie den Arm um ihre Schultern. „Komm, Liebes, lass uns hineingehen. Wir können im Salon darüber sprechen und …“
„Nein!“, rief Anna angsterfüllt. „Es gibt nichts zu besprechen. Mein Leben ist vorüber!“ Sie schluchzte herzzerreißend.
Nie zuvor in ihrem Leben hatte Lizzie sich mehr geängstigt. Den Arm um Annas Schultern gelegt, führte sie sie zu der Gartenlaube hinter dem Haus und dort hinein bis zu einer Bank. Sie zwang ihre schluchzende Schwester, sich zu setzen, und nahm dann daneben Platz. „Bist du krank?“, fragte sie ruhig, hielt Annas Hände fest und versuchte, gelassen zu bleiben.
Anna hob den Kopf und sah sie an. „Ich erwarte ein Kind“, sagte sie.
Lizzie war fest davon überzeugt, sich verhört zu haben. „Wie bitte?“
„Ich erwarte ein Kind“, wiederholte Anna und brach wieder in Tränen aus.
Lizzie konnte sich nicht erinnern, jemals entsetzter gewesen zu sein. Während Anna weinte, hielt sie ihre Hand und dachte nach. „Dein Leben ist nicht vorbei. Du liebst Thomas, und solche Dinge passieren nun mal. Wann soll das Kind kommen?“ Trotz allem fiel es ihr schwer, zu glauben, dass ihre Schwester Thomas vor der Ehe solche Freiheiten gewährt hatte.
Ohne aufzusehen, sagte Anna: „Im Juli.“
Als Hochzeitstermin war der 5. September festgesetzt.
„Ach, was soll ich nur tun?“, rief Anna aus.
Jetzt endlich erkannte Lizzie, wie ernst die Situation wirklich war. Das Kind sollte kurz vor der Hochzeit geboren werden. Anna wäre in der Tat ruiniert, in keinem anständigen Haus würde sie mehr Einlass finden. Sie schluckte und fühlte sich fast wie betäubt angesichts der Krise, der sie sich gegenübersahen. Und dann erkannte sie die Lösung. „Du wirst die Hochzeit einfach verschieben, vielleicht in den Mai. Natürlich wirst du fortgehen, um das Kind zu bekommen, und nur du und Thomas und ich werden die Wahrheit kennen.“ Sie lächelte, aber Anna sah sie so entsetzt an, dass ihr das Lachen verging. Eine düstere Vorahnung überkam sie. Langsam sagte sie: „Du hast Thomas nichts davon gesagt?“
Annas Miene veränderte sich nicht. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus und machte ihn wieder zu. Dann schloss sie die Augen und murmelte: „Es ist nicht sein Kind.“
Lizzie glaubte, ihr Herz müsse stehen bleiben. Sie war zu entsetzt, um etwas zu sagen.
Anna wandte sich ab und schluchzte auf. „Mein Leben ist vorüber, Lizzie. Ich werde alles verlieren, sogar Thomas. Oh Gott!“
Lizzie konnte kaum denken. Aber als sie so da saß, voller Mitleid mit ihrer Schwester und voller Kummer, fragte sie sich, wie das hatte passieren können. Anna liebte Thomas. Wie konnte sie einen anderen Mann in ihr Bett gelassen haben? „Wer ist der Vater?“, hörte sie sich fragen.
Anna sah sie nicht an und schüttelte nur den Kopf.
Lizzie rang um Fassung. Jeder machte Fehler. Vielleicht würde Anna ihr eines Tages erzählen, wie es zu diesem hier kommen konnte. Aber es spielte keine Rolle, wer der Vater war. Genau genommen ging es sie gar nichts an. Dennoch musste sie immerzu darüber nachdenken, wer ihre Schwester letzten Herbst ruiniert hatte. Lizzie hatte nicht einmal eine Vermutung. Es hatte so viele Verehrer gegeben.
Jetzt kam es einzig und allein darauf an, eine Lösung für diese Krise zu finden. Was konnten sie nur tun, damit Anna nicht ruiniert war? Lizzie leckte sich die Lippen. „Ich muss einen Augenblick nachdenken.“
„Lizzie, was geschehen ist, war ein schrecklicher Fehler.“ Anna weinte und sah Lizzie an. „Es geschah, ehe Thomas mir den Hof machte. Ich weiß, du verstehst das nicht, weil du noch nie geküsst hast. Aber ein Kuss führte zum nächsten und zum nächsten … es tut mir so leid.“
Lizzie nickte. Doch es gab noch eine Frage, die sie stellen musste. „Weiß der Vater es?“
Anna schüttelte den Kopf. „Nein. Er hat keine Ahnung.“
„Anna, wenn du nun nicht verlobt wärst – würdest du ihn heiraten, wenn du könntest?“
„Er würde mich niemals heiraten“, erwiderte Anna und empörte Lizzie damit nicht wenig. Offensichtlich war der Vater ihres Kindes von sehr edler Abkunft. „Lizzie, ich weiß, du wirst mir das nicht glauben, aber ich liebe Thomas. Ich weiß, ich war schon früher verliebt, aber so wie jetzt habe ich noch nie empfunden.“
Lizzie sah ihre schöne Schwester sehr ernst an. „Wieso sollte ich dir
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