Vergangene Narben
keine sehr gute Idee gehalten, aber jetzt bekam ich wirklich bammel vor der Begegnung mit Cheyenne. Vielleicht war es wirklich eine psychische Störung, so wie Ayden sagte, aber das machte es irgendwie nicht wirklich besser. Sie hatte mich geschlagen, und wie sie drauf war … das machte mir Angst.
Kurz dachte ich darüber nach, ob ich vielleicht nicht doch einfach zurück in mein Zimmer gehen sollte, dort wäre es bestimmt sicherer, und ich müsste Cheyenne nicht gegenüber treten. Doch meine Überlegung wurde unterbrochen, als Alina um die Ecke geschossen kam. Sie hatte aufgeregte, rote Flecken im Gesicht, und strahlte richtig.
„Ayden!“, rief sie. „Meine Eltern, sie haben Sadrija und die Zwillinge gefunden. Schnell, komm!“
„Was?“
„Deine Schwestern, Mama und Papa haben sie gefunden, und Verbindung mit uns aufgenommen. Per Videochat. Los, komm!“ Sie grabschte nach seiner Hand, und zog ihn einfach mit sich mit, als er vor Überraschung nicht reagierte. Doch dieser Zustand dauerte nur einen Moment, dann rannte er mit ihr davon – ich direkt hinter ihnen.
Die Zwillinge und Sadrija, sie hatten sich gemeldet, endlich mal gute Nachrichten.
Mehrere Leute mussten uns aus dem Weg springen, als wir durch den Korridor in Geros Wohnung rannten, hinein in die Küche, wo sich alle um einen Laptop versammelt hatten. Cheyenne saß direkt davor. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sydney hinter ihr, und auch bei ihm machte sich die Erleichterung bemerkbar. Auch Cio und Fira drängte sich vor dem Bildschirm. Nur Diego, Umbra Drogan, und Gero hielten etwas Abstand. Und Kian blieb den Leuten komplett fern. Er lehnte mit verschränkten Armen an der Wand, und beobachtete das ganze aus sicherer Entfernung. Doch als wir drei in die Küche geschnallt kamen, richtete sein Blick sich auf mich, nur um gleich darauf Ayden zu folgen.
„… den ganzen Urlaub vermasselt!“, hörte ich eine Stimme aus dem Computer. Ich glaubte sie gehörte zu Clover.
Cio gab ein bellendes Lachen von sich. „Na wenn das deine größte Sorge ist.“
Mein Halbbruder und Alina drängten sich vor den Monitor.
„Ayden!“, kam es mehrstimmig von den Zwillingen.
„Bei Chaim, geht es euch gut?“
Ich nährte mich etwas vorsichtiger. Die beiden Mädchen sahen erschöpft aus, genau wie Sadrija, die hinter ihnen stand, doch sie alle schienen wohl auf zu sein.
„Ja, ja“, winkte Clover lässig ab.
Claire dagegen hatte Tränen in den Augen, und schüttelte den Kopf. „Ich will nach Hause.“
„Wir holen euch sobald es möglich ist“, versprach Sydney. „Ihr müsst nur noch ein bisschen Geduld haben.“
Cheyenne hatte die Hand an den Bildschirm gelegt, als könnte sie ihre Töchter so näher sein. Sie wirkte ein wenig aufgewühlt, aber ansonsten wieder völlig normal. Trotzdem ging ich nicht näher an sie heran. Allein bei ihrem Anblick fing mein Gesicht wieder an zu pochen, und meine Zunge fuhr fast automatisch über meine Lippe. Doch die Platzwunde war verschwunden, ich hatte sie schon bei der ersten Berührung mit meiner Zunge geheilt.
„Wir sind schon seit Tagen in diesem Loch“, beschwerte sich Clover. „Ich kann hier nicht mal duschen.“
„Dafür ist es aber wenigstens sicher“, tadelte Sadrija sie.
„Mir doch egal ob ich duschen kann“, kam es von Claire. „Ich will einfach nur nach Hause.“
Nur das sie kein Zuhause mehr hatte. Dort wohnte nun jemand anderes.
„Es tut mir so leid“, flüsterte Cheyenne. Sie hatte bisher nicht mal bemerkt, dass ich den Raum betreten hatte. Oder die Zwillinge waren ihr einfach wichtiger als ich. Ihnen hatte sie schließlich zusehen können, wie sie aufwuchsen. Sie hatte sie nicht wegegeben. „Das ist alles meine Schuld.“
„Ach Mama“, sagte Clover. „Was kannst du denn bitte dafür, wenn da so ne Schlampe Größenwahnsinnig geworden ist? Sie …“
„Clover“, sagte Sydney. Nur dieses eine Wort, und seine Tochter verstummte. Tja, auch wenn größenwahnsinnige Schlampe stimmte, war das wohl keine Bezeichnung, die er aus ihrem Mund hören wollte.
„Wie geht es denn jetzt weiter?“, wollte Sadrija wissen.
Ich wich ein wenig zurück, bis ich neben Kian an der Wand lehnte. Bei dieser Familienzusammenführung würde ich sowieso nur stören.
„Alles okay bei dir?“, fragte er mich leise, ließ seinen Blick aber auf Ayden liegen. Er schien ihn wie magnetisch anzuziehen.
„Passt schon“, murmelte ich. Jedenfalls war ich bisher kein weiteres Mal attackiert worden, also konnte es nur besser werden.
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