Vergangene Narben
wissen müssen, was es bei ihr auslöst, wenn wir einfach verschwinden.“
Auch wenn ich nichts sagte, ich lauschte seinen Worten, doch ich konnte nicht verstehen, wie er sie nach dem was sie getan hatte, noch in Schutz nehmen konnte. Andererseits, sie war seine Mutter, er hatte zu ihr eine Beziehung, die ich niemals haben würde.
Auf der anderen Seite blieb es eine ganze Weile ruhig, und einen Moment fragte ich mich, ob er vielleicht einfach gegangen war, doch dann drangen seine leisen Worte wieder zu mir ins Bad. „Ich war sieben, als ich es das erste Mal mitbekommen habe, vorher hat sie es immer vor mir verbergen können. Aber damals … Claire ist ziemlich krank gewesen. Das Fieber wollte nicht runtergehen, und sie ist fast gestorben.“ Er schwieg kurz. „Ich weiß nicht genau was passiert ist, Sadrija hat mich aus dem Raum gebracht, aber ich habe die Schreie meiner Mutter gehört. Als ich später wieder ins Zimmer kam, lag sie ganz ruhig in ihrem Bett. Heute weiß ich, dass unser Arzt sie mit Beruhigungsmitteln gesetzt hat. Sie hat gar nichts mehr von der Welt um sich herum mitbekommen.“ Ein schweres Seufzen drang zu mir durch die Tür. „Wenn sie so drauf ist, dann … man muss ruhig bleiben, aber …“ Er verstummte.
„Sie hat dich auch angegriffen.“ Als meine Lippen sich bewegten, spürte ich ein unangenehmes Ziehen am Mund. Ich tastete mit der Zunge nach dieser Stelle, schmeckte Blut. Eine Platzwunde. Cheyenne hatte mir ins Gesicht eschlagen, und mir eine Platzwunde verpasst. Fast hätte ich aufgelacht, aber es wäre kein glückliches Lachen geworden.
„Das war auch für mich das erste Mal. Normalerweise sagt sie dann nun unzusammenhängendes Zeug, aber dieses Mal … der Stress, das ist alles so … ich weiß nicht wie ich es sagen soll.“ Für einen Moment herrschte ruhe. „Du hast doch sicher schon die Narben in Diegos Gesicht gesehen.“
„An seiner linken Schläfe“, sagte ich kaum hörbar.
„Genau die. Das war Mama gewesen. Ich habe es nur zufällig rausbekommen. Sie bereut, was sie ihm angetan hat, wünscht sich sie könnte es rückgängig machen.“ Wieder verfiel er einen Moment in Schweigen. „Das wünscht sie sich immer.“
„Man kann aber nicht rückgängig machen, was passiert ist.“ Ich wusste es. Das war auch der Grund, warum ich jetzt in diesem Bad saß, und mich durch die Tür mit meinem Halbbruder unterhielt. Ich hatte alles verbockt. Nur zu gerne würde auch ich es rückgängig machen, aber so funktionierte das Leben leider nicht.
Willst du das wirklich durchziehen?
Hätte ich doch nur mit „Nein“ geantwortet. „Geschehen ist geschehen“, fügte ich noch leise hinzu, und legte mein Kinn auf die Knie.
„Aber manchmal bekommen wir die Chance uns zu entschuldigen, und unsere Fehler zu bereuen. Wenn wir es nur versuchen, dann …“ Er machte eine Pause, als suchte er nach dem richtigen Worten. „Wenn wir die Chance bekommen, dann können wir es wieder besser machen.“
Bei diesen Worten drückte ich die Lippen aufeinander. Besser machen.
Langsam erhob ich mich aus meiner Ecke, lief fast wie ein Schlafwandler auf die Badezimmertür zu, öffnete sie wie unter Zwang.
Ayden saß neben der Tür ans Fußende des Bettes gelehnt, und sah zu mir auf.
„Wie?“, fragte ich, und hasste mich fast dafür, dass mir schon wieder Tränen in die Augen stiegen. Wütend wischte ich sie weg, kniete mich vor ihm, und sah ihm ins Gesicht. „Wie kann ich es besser machen? Ich habe meine Chance vertan, bin nach Italien zu diesem total bescheuerten Vorhaben gefahren, und habe nichts erreicht.“ Ich flehte ihn mit Blicken an, mir eine die Antwort auf eine Frage zu geben, die es nicht gab. „Also sag mir, wie kann ich es besser machen? Wie bekomme ich meine Eltern zurück?“ Zu den letzten Worten hin brach mir die Stimme weg.
Entschuldigend senkte er den Blick. „Ich weiß es nicht.“
Natürlich nicht. Niemand wusste es, niemand außer die Therianthropen, und die würden mir nicht helfen.
„Aber ich weiß dass meine Mutter es bereut, und sich sicher bei dir entschuldigen möchte. Wenn du sie nur lässt.“
„Ich weiß nicht.“ Jetzt war ich es, die den Blick senkte, um diesen intensiven Wolfsaugen zu entgehen. „Ich hab keine Ahnung wie ich ihr danach noch einmal gegenüber treten kann.“
„Das kann ich dir auch nicht sagen, aber ich weiß dass es ihr das Herz brechen würde, wenn du dich vor ihr verstecken würdest.“ Mit der Hand berührte er mich vorsichtig an der Schulter,
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