Vergangene Narben
die Schulter hinweg an, und sah gerade noch, wie er seine Hose schloss. Von den kurzen Shorts hatte er wohl die Nase voll gehabt, und sich gleich mal mit eingekleidet. Jetzt konnten wir im Partnerlock auftreten. „Gab es zu diesen Dingern nicht auch noch Jacken?“
„Musst du mal im Behälter gucken. Oder auf den Wäscheleinen.“ Er griff sich das Hemd, das er schon bereitgelegt hatte, und zog es sich vorsichtig über, um nicht an den Verband zu kommen. Hatte er mich angelogen? Tat es doch weh?
Ich verdrängte diese Fragen im Augenblick, und machte mich dann wieder über die Kleiderbehälter her. Und es war wirklich ein unglaubliches Gefühl, endlich wieder manierliche Kleidung am Körper zu haben. Zwar waren wir noch Barfuß, aber man konnte eben nicht alles haben.
Gerade als ich mich über den silbernen Rollcontainer beugte, da geschah es.
„Zaira!“
Das verschreckte Stimmchen von Fujo ließ mich herumfahren. Doch sie blicke gar nicht zu mir, sondern zur gegenübergelegenen Tür, in der eine ziemlich überraschter Mann in den Dreißigern stand, und uns mit großen Augen ansah.
„Elecio“, sagte er leise. Dann wirbelte er herum, und wollte hinausrennen, doch Cio war schon zur Stelle, schaffte es irgendwie vor ihm an der Tür zu sein, und sie zuzuschlagen. Damit war der Mann bei uns eingesperrt.
Ängstlich machte er einen Schritt vor ihm weg, und schüttelte den Kopf dabei hin und her, als könnte er unsere Anwesenheit damit ungeschehen machen.
„Es tut mir leid“, sagte Cio, und im nächsten Moment ging der Mann bewusstlos zu Boden. Es geschah so schnell, dass ich nicht sehen konnte, was passiert war. In dem einen Moment standen sie noch einen halben Meter voneinander entfernt, und im nächsten sackte der Mann in sich zusammen.
Ich wich einen Schritt vor den beiden zurück. „Musste das sein?“
„Sollte ich vielleicht riskieren, dass er zum König rennt, und ihn über unsere Abwesenheit aufklärt?“
Ich öffnete den Mund, aber mehr als ein leises „Nein, natürlich nicht“ wollte nicht über meine Lippen kommen. Trotzdem konnte ich den Blick nicht von dem bewusstlosen Mann abwenden. Diese Gewaltbereitschaft, diese Brutalitäten, ich wollte das alles nicht mehr sehen. Es war so unnötig. Warum schafften wir es nicht unsere Differenzen verbal zu regeln? Eigentlich konnte das doch gar nicht so schwer sein, oder?
„Komm jetzt.“
Ich schaffte es kaum den Blick von dem Mann abzuwenden, als Cio mich zurück zur Tür schob, und mich samt Fujo hastig hindurch manövrierte. „Wir können ihn doch nicht einfach so zurücklassen!“, protestierte ich schwach.
„Oh doch, das können wir.“ Cio verriegelte die Tür von außen, und übernahm dann wieder die Führung durch die schwach beleuchteten Gänge. „Ich habe nicht sehr hart zugeschlagen, und ich will hier raus sein, bevor er aufwacht.“
Besonders schwach hatte der Schlag aber nicht ausgesehen.
Unsere Schritte waren wohl das Lauteste in den Gängen, auch wenn ich mir einbildete, mein donnernder Herzschlag würde sie übertönen. Cio zog mich dabei die ganze Zeit unritterlich vorwärts.
Während wir eilig durch die verborgenen Eingeweide des Schlosses liefen, wandte ich mich immer wieder nach Fujo um, in der Befürchtung, sie könnte verloren gehen. Dies war im Moment kein Ort für so ein junges Mädchen – viel zu gefährlich.
Von den angrenzenden Korridoren drangen immer mal wieder aufgeregte Stimmen, hastige Schritte, und Geräusche panischer Bewohner in die Gänge der bediensteten, doch im Großen und Ganzen war alles ruhig. Zu ruhig für meinen Geschmack.
Diese Stille hatte etwas Unheilvolles an sich. Ich mochte sie nicht, ja wartete geradezu darauf, dass etwas geschah. Trotzdem zuckte ich heftig zusammen, als ein gellender Schrei bis zu uns in die Gänge schallte.
Fujo flüsterte mit vor Angst geweiteten Augen ein Wort, wirbelte dann herum, und rannte dann in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren.
„Fujo!“, rief ich ihr hinterher, versuchte mich von Cio loszumachen, um ihr nachzulaufen, doch sein Griff war unnachgiebig. „Wir müssen ihr nach!“ Meine Worte glichen einem Schrei. Sie war doch noch ein kleines Mädchen, und in diesem … diesem Kriegsgebiet konnte ich sie doch nicht alleine rumlaufen lassen!
„Nein“, sagte Cio kopfschüttelnd, und versuchte mich weiter zu ziehen. „Wir müssen hier raus. Ich muss dich hier wegbringen, in Sicherheit, und …“
„Cio!“ Ich stemmte meine Beine in den Boden,
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