Vergangene Schatten
Wohnung in die nächste zog, weil es ihnen immer wieder passierte, dass sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. Als Matt alt genug war, um einen Job anzunehmen - er begann mit elf Jahren, bei ihrer Großmutter den Rasen zu mähen und Unkraut zu jäten -, wurde es etwas besser, so dass es der Familie erstmals gelang, längere Zeit in einem kleinen Haus zu wohnen, wo sie - soweit Carly wusste -auch heute noch lebte. Matt war ziemlich empfindlich gewesen, wenn es um die Armut seiner Familie ging, und sie hatte sich immer größte Mühe gegeben, seinen männlichen Stolz nicht zu verletzen. Er hingegen hatte letztlich keinerlei Rücksicht auf ihr empfindsames weibliches Herz genommen. Solche einseitigen Beziehungen zogen sich durch ihr ganzes bisheriges Leben, und sie hatte mehr als genug davon. Die Zeiten, in denen Carly als Fußabstreifer für irgendwelche nichtswürdigen Typen hergehalten hatte, gehörten endgültig der Vergangenheit an. Vor kurzem hatte ein neues Kapitel in ihrem Leben begonnen.
Carly Linton hatte es satt, irgendjemanden irrtümlicherweise zum Märchenprinzen zu verklären, und sie hatte es auch satt, nett zu Leuten zu sein, die es nicht verdienten. Wenn sie in ihrem Leben etwas gelernt hatte, dann die Tatsache, dass nette Mädchen nur ausgenützt wurden.
Matt sah sie aus verengten Augen an. Er wusste genau, worauf sie mit ihrer bissigen Bemerkung anspielte. Er hatte immer schon ein gutes Gespür dafür gehabt, was sie meinte.
»Ich habe einen Hinweis bekommen, dass jemand um das Haus deiner Großmutter herumschleicht. Ich wollte der Sache nachgehen.« Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Ich bin jetzt Sheriff hier.«
Einen Moment lang starrte ihn Carly nur ungläubig an und fragte sich, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Der Matt Converse, den sie gekannt hatte, war ein Motorrad fahrender partywütiger Satansbraten gewesen, der geradezu prädestiniert dafür schien, auf die schiefe Bahn zu geraten. Als Kind der Verbindung zwischen einer temperamentvollen zierlichen Mexikanerin und einem groß gewachsenen, auffallend gut aussehenden blonden Wanderarbeiter, der kam und ging, wie es ihm passte, schien Matts Schicksal als Nichtsnutz und Unruhestifter in den Augen der Stadtbewohner von Anfang an festzustehen. Sein Äußeres, in dem sich das dunkle mexikanische Element seiner Mutter mit der Größe und dem guten Aussehen seines Vaters verband, hatte immer schon Aufmerksamkeit erregt. Er bekam natürlich mit, was die anderen von ihm dachten, und bemühte sich aus Trotz, ihrer schlechten Meinung von ihm gerecht zu werden. Es war nicht gerade weithin bekannt, dass er ein verlässlicher Arbeiter, ein guter Sohn und Bruder und ein treuer Freund für Carly und einige andere gewesen war. Die meisten hier in der Stadt nahmen sein rüdes Benehmen für bare Münze und begegneten ihm mit einer gewissen Zurückhaltung.
»Das ist ein Scherz, nicht wahr?«, fragte sie.
»Nein.«
Sie betrachtete ihn genauer. Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass er außer seinen Jeans ein altes weißes T-Shirt und Turnschuhe trug. Sein Äußeres hatte sich also kein bisschen gegenüber früher verändert. Nun, sein schwarzes Haar war vielleicht etwas kürzer, und er^jvar ein wenig größer und breiter an Schultern und Oberkörper - doch er war im Großen und Ganzen immer noch der alte Matt, der besser aussah, als gut für ihn war. Nicht, dass es sie in irgendeiner Weise gekümmert hätte. In den Jahren nach jener Nacht auf dem Rücksitz seines Wagens war sie gegen sein gutes Aussehen absolut immun geworden.
»Du trägst keine Uniform.« Sie nahm eigentlich nicht an, dass er sie anlog, aber ...
»Falls du es nicht bemerkt hast, es ist schon nach Mitternacht. Ich bin nicht mehr im Dienst. Mrs. Naylor, die nächste Nachbarin hier, hat mich zu Hause angerufen.« Er griff in seine Gesäßtasche und zog seine Geldbörse hervor. »Willst du meine Dienstmarke sehen?«
Sein Ton verriet ihr, dass er die Wahrheit sagte, doch Carly wollte trotzdem eine Bestätigung sehen. Als er ihr die Dienstmarke zeigte, konnte sie es immer noch nicht glauben. Sie blickte zu ihm auf, und sie sahen sich einen Moment lang in die Augen.
Dann lachte sie spöttisch auf. »Das ist ja wirklich zum Brüllen.«
Er steckte die Geldbörse wieder ein und presste die Lippen aufeinander.
»Ja, kann schon sein. Aber dann ist es auch zum Brüllen, dass du auf einmal tolle Kurven und blonde Haare hast. Übrigens, ich habe mich hier umgesehen und
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