Vergangene Schatten
Erinnerungen an Matt herumschwirrten, schlief sie schließlich ein.
Sie schlief tief und fest - bis etwas sie aus dem Schlaf hochschrecken ließ. Sie blinzelte in die Dunkelheit hinein und erkannte, dass es Hugo war, der sie geweckt hatte, indem er sie als Sprungbrett benutzt und auf den Kleiderschrank neben dem Bett gesprungen war. Von dort aus blickte er mit funkelnden Augen zu ihr herunter.
Plötzlich fiel Carly noch etwas anderes auf; dass Hugo mitten in der Nacht einen solchen Trampolinsprung unternommen hatte, lag daran, dass Annie sich mit den Vorderpfoten auf die Fensterbank gestützt hatte. Als Carly sie sah, begann sie wie wild zu bellen.
Die Vorhänge waren hauchdünn und in der Mitte nicht ganz zugezogen. Da fiel Carly auf, dass sie durch den freien Spalt, wo sie zuvor noch den nächtlichen Sternenhimmel gesehen hatte, nun nichts mehr sah. Erschrocken fragte sie sich, wo die Sterne waren.
Konnte es sein, dass da draußen irgendetwas - oder jemand? - war und ihr den Blick in die Nacht hinaus verstellte?
20
Der Hund. Dieser verdammte Hund. Er war da drin im Haus.
Der Mann lief tief geduckt zur Veranda und schwang sich hinauf. Er hatte das Grundstück schon verlassen wollen, als er noch einmal zum Haus hinüberblickte und sie in einem der Fenster sah: Carly mit ihrem lockigen blonden Haar. Komisch, dass er sich gar nicht erinnerte, dass sie blond war, aber andererseits erinnerte er sich an nicht allzu viel aus jener Zeit. Sie hatte schon ihren Pyjama angezogen. Er konnte durch den Spalt zwischen den Vorhängen nur einen kleinen Abschnitt des Zimmers erkennen, in dem noch Licht brannte. Es war ihr Schlafzimmer, und sie war gerade im Begriff, zu Bett zu gehen.
Eines der Fenster lag direkt über der kleinen Veranda. Ja, das Glück kehrte tatsächlich zu ihm zurück.
Sie schaltete das Licht aus, so dass er sie nicht mehr erkennen konnte. Dennoch blieb er am Fenster stehen und wartete. Vielleicht war das seine große Chance. Vielleicht konnte er sich hineinschleichen und sie herausholen.
Er wusste, wie Alarmanlagen funktionierten. Sie sicherten normalerweise nur die Fenster im Erdgeschoss. Ein Glück, dass er immer einen Glasschneider im Auto hatte.
Er wartete eine Stunde, um ihr Zeit zum Einschlafen zu lassen. Dann kletterte er auf das Dach der Veranda, was dank des Regenrohres nicht weiter schwierig war, und suchte nach irgendwelchen Drähten, die darauf hingewiesen hätten, dass die Alarmanlage auch hier oben installiert worden war. Doch da waren keine Drähte zu sehen; er überprüfte die Fensterläden, den Rahmen, die Scheibe und war sich immer sicherer, dass er Recht hatte. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen konnte er etwas Helles erkennen; das musste das Bett sein - ihr Bett. Und in der Mitte des Bettes lag etwas - das musste sie sein.
Bei so viel Glück, dachte er, als er den Glasschneider aus der Tasche zog, würde er die ganze Sache vielleicht heute Nacht zu Ende bringen können.
Dann würde er die Vergangenheit endgültig begraben können.
Doch als er den Glasschneider an die Fensterscheibe ansetzte, bewegte sich der Vorhang plötzlich. Er blickte hinunter - und da sah er, dass der Hund durch das Fenster zu ihm heraufblickte.
Dieser verdammte Hund.
Als das Tier zu bellen begann, lief er schon zum Rand des Verandadaches hinüber.
21
Hugo tänzelte in der glühenden Nachmittagssonne auf sie zu, vorsichtig eine Pfote vor die andere setzend. Carly sah ihm lächelnd zu, als ihr der Titel eines Films in den Sinn kam, der die Situation haargenau traf: Die Katze auf dem heißen Blechdach.
»Wie bist du da überhaupt raufgekommen?«, fragte sie ihn, während sie zu ihm hinüberkroch, um ihn wieder einmal zu retten. Sie hob ihn hoch und kroch zu dem schattigen Fleck zurück, auf dem sie gearbeitet hatte. Er sah ziemlich misstrauisch drein, als sie ihn wieder hinunterließ, bis er feststellte, dass es unter seinen Pfoten relativ kühl war. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, wie um ihr zu sagen, dass er sich zwar ein wenig verschätzt hatte, was die Temperatur des Daches betraf, dass er ihrer Hilfe aber nicht wirklich bedurfte. Und so stolzierte er zum Kamin hinüber, in dessen Schatten er es sich bequem machte, um sich der Körperpflege zu widmen.
Carly war nicht beleidigt. Sie hatte längst gelernt, dass Dankbarkeit für Katzen ein Fremdwort war.
Sie nahm den Hammer zur Hand und machte sich wieder an die Arbeit. Es war der Nachmittag des fünften Juli, und sie hatte sich auf das
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