Vergangene Zukunft
vierstündigen Besuch bei ihrer Schwester in Iowa zurückgekehrt war, schrie: »Richard Hanshaw!«
Er blickte sie an wie ein geprügelter Hund.
»Es regnet. Ganz plötzlich hat es zu regnen begonnen.«
Zuerst wußte sie gar nicht, was das Wort bedeutete. Ihre eigenen Schuljahre und Geographiestudien lagen zwanzig Jahre zurück. Und dann erinnerte sie sich. Vor ihren Augen tauchte eine Vision auf. Wasser floß endlos vom Himmel, ein wilder Wasserfall, den man mit keinem Knopfdruck oder Schalthebel abstellen konnte.
»Und du bist draußen geblieben?«
»Wirklich, Mammy, ich bin so schnell ich konnte heimgelaufen. Ich wußte ja nicht, daß es zu regnen beginnen würde.«
Mrs. Hanshaw wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie war fassungslos, und ihr Entsetzen ließ sich nicht in Worte kleiden.
Zwei Tage später lief Richard die Nase, und sein Hals war kratzig und trocken. Mrs. Hanshaw mußte zur Kenntnis nehmen, daß tatsächlich ein Kranheitsvirus Eingang in ihr Haus gefunden hatte, so als würde sie in einer schäbigen Steinzeithütte wohnen und nicht in einem wohlausgestatteten Heim.
Und jetzt brach ihr Stolz endgültig zusammen. Sie mußte mit Richard einen Psychiater aufsuchen.
Mrs. Hanshaw wählte den Psychiater sehr sorgfältig. Zuerst dachte sie daran, einen Arzt in einer anderen Stadt zu konsultieren. Eine Zeitlang trug sie sich sogar mit dem Gedanken, direkt ins San Francisco Medical Center zu reisen und sich an einen x-beliebigen Psychiater zu wenden.
Doch dann ließ sie diesen Plan fallen. Für einen fremden Arzt wäre Richard nur ein Patient unter vielen, und er würde ihrem Sohn keine größere Aufmerksamkeit widmen als irgendwelchen Slumbewohnern, die durch das öffentliche Tor zu ihm kamen. Aber wenn sie sich innerhalb ihrer Gemeinschaft umsah und einen Arzt wählte, der in der Nähe wohnte, würde ihr Wort Gewicht haben …
Mrs. Hanshaw schlug den Plan ihres Distrikts auf, auf dem jedes Haus mit der dazugehörigen Tornummer genau eingezeichnet war. Sie verspürte einen gewissen Stolz, als sie über das glatte Papier strich.
Und warum auch nicht? Distrikt A-3 hatte einen guten Klang in der Welt. Wenn man hier lebte, so war das so gut wie ein Adelstitel. Distrikt A-3 war die erste Gemeinschaft des Planeten, die sich auf einer vollständigen Tor-Grundlage etabliert hatte. Die erste, größte, reichste und berühmteste. Hier gab es keine Fabriken und keine Läden. Es gab nicht einmal Fahrstraßen. Jedes Haus war wie ein kleines Schloß, ganz in sich selbst versunken, abgeschlossen von der Umwelt. Und jedes Haus hatte ein Tor, durch das man an alle Orte der Welt gelangen konnte, die ebenfalls über Tore verfügten.
Sorgfältig glitt ihr Finger über die Liste der fünftausend Familien, die in Distrikt A-3 wohnten. Sie wußte, daß verschiedene Psychiater hier lebten. Alle Arten von Wissenschaften waren in Distrikt A-3 vertreten.
Doktor Hamilton Sloane war der zweite Name den sie entdeckte. Ihr Finger suchte auf der Karte. Seine Ordination war nur zwei Meilen von Mrs. Hanshaw entfernt. Der Name gefiel ihr. Die Tatsache, daß er in A-3 wohnte, war ein eindeutiger Beweis für seine Fähigkeiten. Dr. Sloane würde verstehen, daß die Angelegenheit dringend war – und streng vertraulich behandelt werden mußte.
Sie rief in seiner Ordination an, um einen Termin zu verabreden.
Dr. Hamilton Sloane war ein noch relativ junger Mann. Er war noch keine vierzig. Er stammte aus einer guten Familie und hatte natürlich schon von Mrs. Hanshaw gehört.
Er hörte ihr ruhig zu und sagte dann: »Und die ganze Sache begann mit dem Zusammenbruch des Tores.«
»Ja, Doktor.«
»Fürchtet er sich vor den Toren?«
»Natürlich nicht! Was für ein Gedanke!« rief sie erschrocken.
»Es wäre aber möglich, Mrs. Hanshaw. Wenn Sie es nämlich recht bedenken, so ist ein Tor tatsächlich eine ziemlich furchterregende Sache. Sie treten in ein Tor, und für einen Augenblick verwandeln sich Ihre Atome in Kräftefeld-Energien, werden an irgendeinen Ort des Weltraumes gesendet und nehmen dann wieder Gestalt an. In diesem einen Augenblick leben Sie nicht.«
»Über so etwas mache ich mir wirklich keine Gedanken.«
»Aber vielleicht Ihr Sohn. Er hat gesehen, wie das Tor zusammenbrach. Vielleicht hat er gedacht: ›Was passiert, wenn das Tor gerade in dem Augenblick zusammenbricht, in dem ich an einen anderen Ort transportiert werde?‹«
»Das ist doch Unsinn. Er benutzt das Tor immer noch. Er war mit mir sogar in
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