Vergeben, nicht vergessen
belästigt?«
»Anscheinend hatte er keine eindeutige Präferenz, jedenfalls damals nicht. Falls es Shaker war, der ihn für Emmas Entführung angeheuert hat, um Louey gefügig zu machen, dann ist er, seit Loueys Tod und seit Emma ihm entschlüpft ist, nicht mehr auf Shakers Gehaltsliste«, erwiderte Savich.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Shaker ihm jemals wieder begegnen möchte, es sei denn, er möchte sich ein wenig mit ihm unterhalten. Ziemlich ausgeschlossen, dass Shaker wusste, dass es sich um einen Kinderschänder handelte, als er ihn für Emmas Entführung angeheuert hat.«
»Dann hat Vater Sonny in San Francisco also ganz auf eigene Faust gehandelt.« Savich hielt kurz inne, ehe er fortfuhr: »Er ist ein ziemliches Risiko eingegangen, Emma direkt unter deiner Nase zu rauben. Das bedeutet, er hat sich wirklich nicht mehr im Griff.«
»Ja, das grenzt an Obsession. Offenbar ist er der Vernunft nicht mehr zugänglich.«
Savich fluchte, und das kam selten vor. »Fixierung, Obsession, wie auch immer die Psychologen das benennen, Vater Sonny ist da. Unsere Psychologen, die mit Kinderschändern zu tun haben, sagen, das komme recht häufig vor. Ein Mann kann zu glauben anfangen, dass ein bestimmtes Kind ihn erlösen wird. Als ehemaliger Priester könnte er sogar glauben, dass Emma seine Seele retten und ihn wieder reinigen, ihn heilen, ja ihn sogar Gott gegenüber wieder akzeptabel machen könnte. Normalerweise jedoch suchen sie sich, nachdem sie das Kind missbraucht haben, ein neues Kind aus, und die ganze Sache beginnt von vorne. Warum möchte er Emma wieder haben? Weil es ihr gelungen ist, ihm zu entkommen, und er nicht Herr des Verfahrens war? Will er die Kontrolle ausüben, die Macht haben? Darf es nur nach seinem Willen gehen?«
»Oder aber«, warf Ramsey ein, »er glaubt immer noch, dass Emma ihn erlösen kann, dass sie ihn noch nicht ganz geheilt hat und er sie deshalb wieder haben muss. Ihr zufolge hat er gesagt, dass er sie mehr brauche, als Gott ihn brauche. Etwas in der Richtung jedenfalls. Weißt du, ich will den Mistkerl ganz einfach umlegen.«
»Du und ungefähr eine Million andere Leute. Wir haben das ganze Land auf Vater Sonny angesetzt. So jedenfalls nannten ihn seine Mitgefangenen. Früher oder später wird er auftauchen. Jemand wird ihn sehen, ihn erkennen. Wir werden ihn bekommen. Deine Freundin bei der Polizei in San Francisco, Virginia Trolley, beschleunigt die Sache von dort aus. Wie geht es Emma? Gefällt ihr Irland?«
»O ja. Sie liebt es, die Enten am See von Dromoland zu füttern und Burgen zu besichtigen. Seit wir hier sind, hatte sie keine Alpträume mehr. Und weißt du, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass sie dauernd so ruhig war und sich so gut benahm. Heute aber war sie ein richtiges Kind, Savich. Heute Nachmittag hat sie richtig gezetert, weil sie etwas nicht tun wollte, was ihre Mutter von ihr verlangte. Ihre verdrießliche Meckerstimme zu hören, habe ich richtig genossen. Molly fällt es schwer, sie nach all dem Vorgefallenen nicht zu verwöhnen. Aber wir bemühen uns.« Er machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Heute Morgen habe ich Molly beim Fotografieren beobachtet. Emma fütterte die Enten, sie lachte, die Sonne schien, und die Enten waren ganz außer sich.«
»Und?«
»Ich weiß nicht«, meinte Ramsey. »Ich weiß wirklich nicht, weswegen ich dir das erzählt habe.« Er stellte sich Emmas wunderschönes Gesicht vor, dann plötzlich sah er sie wieder kopfüber im Wald liegen, sah die Blessuren auf ihrem kleinen Körper, das Blut an ihren Beinen. Eine unglaubliche Wut hätte ihn beinahe übermannt, sie ging ihm durch Mark und Bein. Er umklammerte den Telefonhörer so fest, dass seine Knöchel weiß hervorstachen. »Es ist nicht richtig, Savich. Das alles hätte nicht passieren dürfen. Es hätte Emma nicht passieren dürfen und auch keinem anderen kleinen Kind.«
»Du weißt ja, wie häufig es vorkommt, Ramsey. Du hast sicherlich genügend von ihnen während deiner Zeit als Ankläger vor Gericht kennen gelernt. Und jetzt als Richter.«
»Manche Leute in San Francisco sind der Ansicht, dass ich diesen Verbrechern gegenüber zu hart durchgreife, doch ich bin anderer Ansicht. Es gibt keine Heilung oder Rehabilitation für Kinderschänder, wie auch die Kirche nun endlich eingesehen hat. Uns bleibt also keine andere Wahl, als sie den Rest ihres Lebens von Kindern fern zu halten.«
Sie sprachen über Paris und Sherlocks immer noch heftige Reaktion auf das
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