Vergeben, nicht vergessen
nachdem ich über Ihren Namen nachgedacht habe. Sind Sie der berühmte Ramsey Hunt?«
Emmas wegen spielte er die Sache herunter. »Berüchtigt ist wohl näher an der Wahrheit.«
»Das können Sie mir nicht weismachen.«
Er verschüttete etwas Kaffee, hob den Kopf und starrte sie an.
»Männer«, sagte sie, während sich ihre Finger um die Kaffeetasse legten. »Wenn sie die Wahl haben, gelten sie lieber als berüchtigt - Sie wissen schon, Schurken und andere dunkle Gestalten - aber nicht als Held, der wegen etwas Sinnvollem oder moralisch Richtigem berühmt ist, was er zu erreichen versucht hat.«
»Nein«, erwiderte er. »Das sähe mir nicht ähnlich.«
Sie seufzte, zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab. »Es ist kaum zu glauben. Ein Bundesrichter aus San Francisco, und doch sind Sie jetzt hier. Sie haben Emma gefunden.«
»Ja.«
»Wenn man an Ihr Verhalten im Gerichtssaal denkt, hätte es Emma wohl kaum besser treffen können.«
Er schwieg und nippte an seinem starken Kaffee.
Ein Bundesrichter, der gleichzeitig auch berühmt war, genauer gesagt, der trotz seiner Zurückhaltung ein Held war -und nun saßen sowohl Emma als auch sie hier bei ihm. Das Leben hatte sie in den letzten zwei Wochen so gebeutelt, dass sie von dieser letzten Überraschung eigentlich nicht hätte schockiert sein dürfen. An ihre Tochter gewandt sagte sie: »Em, du siehst gut aus. Wie geht es dir, mein Liebling?«
Emma hielt den Kopf gesenkt. Die Wirklichkeit hatte sie plötzlich eingeholt, und sie war noch nicht dagegen gewappnet. Molly hatte sich zu ernsthaft, zu zerknirscht angehört. Sie kam sich dumm vor und war sehr müde. Sie hätte Ramsey Hunt küssen können, als er, mit immer noch ruhiger Stimme und seine Aufmerksamkeit auf Emma gerichtet, leichthin bemerkte: »Sie musste etwas anderes als nur meine T-Shirts zum Anziehen haben. Ich habe den Ausflug aus der Hütte so weit wie nur möglich verschoben, aber sie musste neue Kleidung bekommen. Und so haben Sie uns gefunden. Als Emma und ich in Dillinger einkaufen gegangen sind.«
»Wie gesagt, ich habe ihr Foto herumgezeigt, und die Leute dort meinten alle, sie sei Ihre kleine Tochter. Um ehrlich zu sein, ich habe eigentlich nicht damit gerechnet, in Dillinger fündig zu werden. Es war mein letzter Versuch. Danach hätte ich die Sache der Polizei und dem FBI übergeben. Sie waren natürlich ohnehin schon mit der Angelegenheit betraut und gingen sie auf ihre Art und Weise an. Aber sie haben nichts zu Stande gebracht, gar nichts. Ich habe ihnen eine Frist von zwei Tagen eingeräumt, dann bin ich losgefahren. Wie ich gehört habe, haben sie die Suche nach vier Tagen aufgegeben.«
»Wo wohnen Sie?«
»In Denver.« Sie nahm einen Löffel und spielte damit, ihr Blick auf das rot-weiß karierte Tischtuch geheftet. »Ihr Vater ist in Europa. Er ist auf Tournee und konnte nicht kommen, aber er wird bald zurück sein.« Sie wandte sich ihrer Tochter zu und nahm deren kleine Hand. »Ich spreche fast jeden Tag mit ihm, Em. Er macht sich große Sorgen um dich, ehrlich.«
Emma starrte in ihre Schüssel, in der eine einzige Scheibe Banane in etwas Milch schwamm. Ohne aufzusehen, meinte sie: »Ich weiß nicht, weshalb er jetzt kommen sollte. Ich habe ihn seit zwei Jahren nicht gesehen.«
Er spürte, dass es sowohl der Tochter als auch der Mutter die Sprache verschlagen hatte, und beeilte sich einzuwerfen: »Ich verstehe. Sie sind geschieden.«
»Ja«, erwiderte Molly. Sie hatte sich wieder im Griff. »Emma, mit der Scheidung hat das nichts zu tun. Dein Papa liebt dich. Er ist nur eben immer sehr beschäftigt.«
»Ja, Mama.«
Ramsey wollte schnell das Thema wechseln und sagte: »Sie haben der Polizei also ganze zwei Tage eingeräumt und sich dann entschieden, die Sache im Alleingang anzugehen?«
»Ja. Zu Hause konnte ich nichts weiter tun, als still und leise verrückt zu werden.«
Er wollte dagegenhalten, dass bei einem eventuellen Anruf der Entführer diese sicherlich mit ihr hätten sprechen wollen. Aber dann fiel ihm ein, dass jede weibliche Polizistin diese Aufgabe übernehmen konnte. Er schwieg. Emma hatte die Ohren gespitzt.
»Ich bin von Aspen nach Vail und dann nach Keystone gefahren und habe auch alle Orte dazwischen abgeklappert. Dillinger war mein letzter Versuch.«
»Glück gehabt. Wie gesagt, wenn sie keine Kleidung gebraucht hätte, hätte ich sie nicht mit nach Dillinger genommen. Bevor ich Emma gefunden hatte, war ich bereits zwei Wochen lang hier oben in
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