Vergeben, nicht vergessen
der Hütte.«
»Warum sind Sie ausgerechnet hier?«
Er zuckte mit den Schultern und blickte auf seinen Kaffee. »Es ist mir einfach zu viel geworden«, meinte er schließlich. »Einfach zu viel. Die Boulevardblätter gaben keine Ruhe. Die Paparazzis sprangen mich schon von hinten aus dem Gebüsch an, um mich zu überrumpeln.«
»Sie werden als >Judge Dredd< bezeichnet.«
»Das ist lächerlich, das Ganze ist einfach lächerlich.« Er begann zu fluchen, spürte jedoch Emmas Blick und atmete tief durch. »Ich habe mir fünf Monate frei genommen und bin allem entflohen - den Menschen, den Anrufen, dem Fernsehen, allem eben. Dann habe ich Emma gefunden.« Er lehnte sich vor und nahm Emmas Kinn in die Hand. Sie hatte Farbe bekommen. Sie sah kindlich schön und gesund aus. »Wie wäre es, wenn du abwaschen gehst und dir dann deine Jeans und ein buntes T-Shirt anziehst? Deine Mutter und ich müssen noch etwas besprechen und entscheiden, was wir jetzt tun sollen.«
Sie machte einen besorgten Eindruck. »Mama, du wirst doch nicht noch einmal versuchen, Ramsey zu erschießen, nicht wahr?«
»Ich nehme niemals eine Tasse Kaffee von einem Mann an, den ich anschließend erschieße, Liebling. So etwas macht man nicht.«
»Mama, du hast einen Witz gemacht.« Emma strahlte sie an.
»Sogar einen verdammt guten«, pflichtete ihr Ramsey bei. »Und nun ab mit dir, Emma.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und blickte auf die Frau ihm gegenüber. »Emma hat mehrere Bilder von Ihnen gemalt. Auf allen hatten Sie ein breites Lächeln.« Jetzt jedoch lächelte sie nicht. Sie war blass und hager und hatte das röteste Haar, das er jemals gesehen hatte, ganz lockig, genau wie auf Emmas Zeichnungen. Ihre Augen waren graugrün und leicht nach oben gebogen, wodurch sie etwas exotisch wirkte. Sie hatte keine Sommersprossen, und sie sah Emma kein bisschen ähnlich.
»Ich habe sie immer >Kleines< genannt. Der Name Emma gefällt mir. Er passt zu ihr.«
»So hieß meine Großmutter.«
Angespannt neigte sie sich vor, dann sprang sie plötzlich auf und begann in der kleinen Küche auf und ab zu gehen, vom Kaffee überdreht, hellwach und für die Antworten zu ihren Fragen gewappnet. »Wie haben Sie Emma gefunden?«
»Es war vor genau acht Tagen. Beim Holzhacken hörte ich dieses merkwürdige Geräusch. Es war ein Geräusch, das ich eigentlich hier nicht hätte hören sollen. Ich bin dem nach und fand sie bewusstlos im Wald. Ich habe sie nur gesehen, weil sie ein leuchtend gelbes T-Shirt trug. Ich habe sie hierher gebracht und mich um sie gekümmert. Bis sie Sie angebrüllt hat, hat sie nicht gesprochen.«
Er sah die Frage in ihrem Blick und nickte langsam. »Ja, sie ist geschlagen und sexuell missbraucht worden. Soweit ich es beurteilen kann, hat keine Sodomie stattgefunden, aber ich bin kein Arzt. Es geht ihr schon viel besser, obwohl sie letzte Nacht einen Alptraum hatte.« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Es hat gute vier Tage gedauert, bis sie mir vertraut hat. Sie ist ein tolles Kind.«
Tränen rannen ihr die Wangen hinunter und fielen von ihren Lippen. Sie schniefte. Er reichte ihr eine Serviette, und sie schnäuzte sich die Nase und wischte sich die Augen ab.
»Sie ist erst sechs Jahre alt. Sie wurde von einem Triebtäter entführt, und ich bin schuld. Wenn ich doch nur ...«
»Hören Sie auf, hören Sie sofort damit auf. Ich kenne Sie jetzt seit einer Stunde, und ich weiß, dass Sie sie nicht unbeaufsichtigt gelassen haben und nichts tun würden, was sie gefährden könnte. Deswegen möchte ich auch nichts mehr von diesem Unfug hören.« Er seufzte, denn ihm war klar, dass sie sich vermutlich ihr ganzes Leben lang immer wieder die Schuld geben würde. »Glauben Sie mir, in meinem Leben habe ich mich noch nie so hilflos gefühlt. Sie ist ein so süßes Mädchen. Anfangs hat sie sich sehr vor mir, einem Mann, gefürchtet, was ich ihr unmöglich verübeln konnte. Als sie nicht geredet hat, war ich überzeugt davon, dass sie stumm ist.«
Er fuhr zu reden fort, damit sie sich sammeln konnte, was ihr schließlich gelang. Sie richtete sich auf. »Vielleicht war es das Trauma. Vielleicht fühlte sie sich sicherer, wenn sie nichts sagte und mir ihren Namen nicht aufschrieb. Vielleicht konnte sie aber auch tatsächlich nicht sprechen, ehe es nicht eine Entscheidung zwischen Leben und Tod war. Hätten Sie denn auf mich geschossen?«
»Ohne zu zögern, wenn Sie auch nur den kleinen Finger bewegt hätten.«
»Ich bin wirklich
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