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Vergeben, nicht vergessen

Titel: Vergeben, nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Regen schwer und von süßlichen Frühlingsblüten geschwängert. Ramsey drehte sich auf die Seite und zog die Decke mit sich. Vor einiger Zeit hatte er bereits das Kopfkissen auf den Boden geworfen.
    Er warf sich wieder auf den Rücken und legte den linken Arm über den Kopf. Plötzlich wurde er in ein dunkles Zimmer geworfen, in dem sich mehrere Bilder und immer lauter werdende Stimmen überlagerten. Schlagartig wurden die Bilder scharf, die Stimmen klar. Er befand sich im Gerichtssaal, sprang mit fliegendem schwarzem Talar über die Absperrung, die Beine ausgestreckt, die Füße eine halbautomatische Pistole aus der Hand eines Mannes tretend, von wo aus sie quer über das Eichenparkett schlitterte. Er hörte das Knacken eines Schultergelenks, hörte den wütenden Aufschrei, sah den entfesselten Schmerz in seinen Augen. Dann sah er Schrecken und Panik, sah ihn, wie er, den gebrochenen Arm haltend, in Richtung der Pistole hechtete.
    Wieder stürzte er sich auf ihn, rammte ihm eine Faust zwischen die Rippen und riss ihn auf den Boden zurück. Die schreiende Menschenmenge war alles, was er wahrnahm. Ein zweiter Mann wirbelte mit gezückter halbautomatischer Waffe zu ihm herum. Er rollte ab, drehte sich in der Taille, um den Schlag abzufedern und umklammerte das Handgelenk des Mannes, um ihn aus dem Kreuzfeuer herauszuziehen. Seine freie Hand schloss sich um den Hals des Mannes und drückte ihm die Luftröhre zu. Er beobachtete, wie der Mann erstickte, hörte, wie seine Pistole gegen das Besuchergitter schlug. Die Schreie waren hoch und laut. Sie wollten nicht enden, füllten den gesamten Gerichtssaal, blockierten seinen Kopf, durchdrangen sein Gehirn. Jetzt sah er den dritten Mann eine wohl gezielte, langsame Bewegung ausführen, sah, wie er sich seines Scheiterns bewusst wurde, sah, wie er seine Waffe hob, ziellos feuerte und einen der Verteidiger an der Schulter streifte, dessen blütenweißes Hemd sich sofort dunkelrot verfärbte. Die Heftigkeit der Kugel schleuderte ihn gegen drei Frauen, die sich hinter die erste Besucherreihe geduckt hatten. Der Mann wandte sich wieder ihm zu, sein Blick voller Panik und Todesangst. Ramsey spürte die Hitze der Kugel, als sie keine zwei Zentimeter von seiner Schläfe entfernt vorbeizischte. Er rollte ab, griff nach der halbautomatischen Waffe, zielte noch auf der Seite liegend und drückte ab. Er sah, wie der Mann gegen die Wand geschleudert wurde und sein Blut an der Mauer herunterlief. Die Schreie wollten nicht aufhören, sondern wurden lauter und lauter.
    Ramsey warf sich keuchend im Bett hin und her, Schweiß bedeckte seine Stirn. Er schlug sich die Hände vor das Gesicht. So viel Blut, als ob es Blut regnen würde.
    »Alles ist gut, Ramsey.«
    Es war Emma. Sie saß neben ihm und streichelte mit ihren schmalen Fingern seinen Unterarm. »Ist schon gut. Es war ein Alptraum, ein wirklich schlimmer Alptraum, wie man sie manchmal hat. Mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht Weggehen, jedenfalls nicht, bevor du nicht wieder ganz in Ordnung bist.«
    »Emma«, sagte er und war selbst überrascht, dass er überhaupt ein Wort über die Lippen bekam. Er schwang die Beine aus dem Bett, zog das kleine Mädchen auf seinen Schoß und drückte sie an sich.
    »Ich habe dich gehört«, sagte sie an seiner Schulter. »Ich hatte Angst um dich.«
    »Danke, dass du gekommen bist. Es war ein wirklich schlimmer Alptraum. Das ist alles vor drei Monaten geschehen. Ich habe schon mehrere Wochen nicht mehr davon geträumt.«
    »Tut mir Leid, dass er wiedergekehrt ist. Worum ging es denn, Ramsey?«
    »Ich musste jemanden umbringen, Emma.«
    Sie zuckte zurück und sah ihn an. Seine Augen waren die Dunkelheit gewohnt, und er konnte sie deutlich sehen. Ihr Blick war klar und eindeutig. »Dann muss es wirklich notwendig gewesen sein. Haben sie es verdient?«
    Er sah in das Kindergesicht, sah die Augen, die schon viel zu viel Schmerz und viel zu viel Schreckliches gesehen hatten. Er war ihr die Wahrheit schuldig.
    »Ja«, sagte er behutsam und ohne den Blick von ihr abzuwenden. »Sie haben es verdient. Sie sind in meinen Gerichtssaal eingebrochen. Sie trugen Gewehre. Sie wollten die Drogenhändler befreien, die von der Jury für schuldig befunden worden waren. Sie hatten angefangen, auf die Juroren zu schießen. Also habe ich dem Blutbad ein Ende gesetzt.«
    »Was ist ein Blutbad?«
    »Emma? Was machst du denn hier, Liebling?«
    Sie wandte sich zur Tür. »Mama, Ramsey hatte einen Alptraum. Ich habe ihn

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