Vergebung
hinunter. Er hatte noch kein Wort gesagt und blieb völlig passiv. Sie überlegte lange, bis sie zu einem Entschluss kam.
Sie beugte sich zu ihm hinunter, packte die Handschellen, zog ihn auf die Füße und lehnte ihn gegen die Hauswand.
»Kannst du stehen?«, erkundigte sie sich.
Er antwortete nicht.
»Hör zu: Wenn du den geringsten Widerstand leistest, mach ich dasselbe mit deinem rechten Bein. Und wenn du dann immer noch Widerstand leistest, breche ich dir die Arme. Verstehst du, was ich sage?«
Sie merkte, dass er heftig atmete. Angst?
Sie schubste ihn vor sich her über die Straße, bis sie sein Auto erreicht hatten. An seinem Wagen begegnete ihnen ein Nachtspaziergänger mit Hund, der stehen blieb und den gefesselten Fredriksson musterte.
»Eine Polizeiangelegenheit«, erklärte Susanne Linder in entschiedenem Ton. »Gehen Sie nach Hause.«
Sie setzte Fredriksson auf den Rücksitz und fuhr ihn nach Hause. Sie trafen keine Menschenseele, als sie ins Haus gingen. Susanne Linder angelte sich die Schlüssel aus seiner Tasche und führte ihn die Treppen zu seiner Wohnung im dritten Stock hinauf.
»Sie können nicht einfach in meine Wohnung gehen«, protestierte Peter Fredriksson.
Seine ersten Worte, seitdem sie ihn gefesselt hatte.
Sie öffnete seine Wohnungstür und stieß ihn hinein.
»Dazu haben Sie kein Recht. Sie brauchen einen Durchsuchungsbefehl …«
»Ich bin aber nicht von der Polizei«, erklärte sie leise.
Misstrauisch starrte er sie an.
Sie schubste ihn vor sich her ins Wohnzimmer und auf ein Sofa. Seine Dreizimmerwohnung war sauber und ordentlich. Das Schlafzimmer links vom Wohnzimmer, die Küche auf der anderen Seite des Korridors, ein kleines Arbeitszimmer direkt im Anschluss ans Wohnzimmer.
Sie warf einen Blick in sein Arbeitszimmer und seufzte erleichtert auf. The smoking gun. Sofort sah sie die Bilder aus Erika Bergers Fotoalbum, die auf dem Schreibtisch vor seinem Computer ausgebreitet waren. Um die dreißig Aufnahmen hatte er rundum an die Wand gepinnt. Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete sie die Vernissage. Erika Berger war eine verdammt hübsche Frau. Und sie hatte ein lustigeres Sexleben als Susanne Linder.
Nebenan hörte sie, wie Peter Fredriksson sich bewegte, ging zurück ins Wohnzimmer und fing ihn ab. Sie versetzte ihm einen Schlag, zog ihn ins Arbeitszimmer und stieß ihn auf den Boden.
»Sitzen bleiben!«, befahl sie.
Aus der Küche holte sie eine Papiertüte vom Konsum-Supermarkt. Dann nahm sie ein Bild nach dem anderen von der Wand. Sie fand auch das geplünderte Fotoalbum und Erika Bergers Tagebücher.
»Wo ist das Video?«, wollte sie wissen.
Fredriksson antwortete nicht. Susanne Linder ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Im Videorekorder steckte ein Film, aber sie brauchte einen Moment, bis sie den Videokanal auf der Fernbedienung gefunden hatte.
Sie nahm das Video an sich und verbrachte dann noch eine geraume Weile damit, sorgfältig zu kontrollieren, dass er sich auch keine Kopien gemacht hatte.
Sie fand Bergers Liebesbriefe aus ihrer Jugendzeit und den Bericht über Borgsjö. Dann richtete sie ihr Interesse ganz auf Fredrikssons Computer. Sie stellte fest, dass er einen Microtek-Scanner hatte, der mit einem IBM-PC verbunden war. Als sie den Deckel des Scanners hochhob, fand sie ein Bild von Erika Berger auf einem Fest des Klub Xtreme; einem Banner im Hintergrund zufolge war es Silvester 1986 aufgenommen worden.
Sie fuhr den Computer hoch und entdeckte, dass er ein Passwort hatte.
»Wie heißt dein Passwort?«, fragte sie.
Fredriksson saß schmollend auf dem Boden und weigerte sich, mit ihr zu sprechen.
Plötzlich wurde Susanne Linder ganz ruhig. Sie wusste, dass sie an diesem Abend ein Verbrechen nach dem anderen begangen hatte - Nötigung, vielleicht sogar eine Entführung. Es war ihr egal. Im Gegenteil, sie fühlte sich geradezu heiter.
Nach einer Weile zuckte sie die Achseln, kramte in ihrer Tasche und holte ihr Schweizer Armeemesser heraus. Sie löste alle Kabel vom Computer, drehte ihn um und öffnete die Verkleidung mit dem Schraubenzieher. Nach fünfzehn Minuten hatte sie ihn auseinandergebaut und die Festplatte herausgenommen.
Sicherheitshalber ging sie noch alle Schreibtischschubladen, Papierstapel und Regale durch. Da fiel ihr Blick auf einen alten Schuljahresbericht, der auf dem Fensterbrett lag. Sie stellte fest, dass er vom Djursholmer Gymnasium stammte, aus dem Jahre 1978. Kam Erika Berger nicht ebenfalls aus
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