Vergebung
sich auf die Wangen.
»Es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr gemeldet habe und auch nicht zum Prozess gekommen bin«, sagte Miriam.
»Ist schon okay. Der Prozess hat sowieso unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.«
»Ich war drei Wochen lang im Krankenhaus, doch als ich nach Hause kam, war alles ein Riesenchaos. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ständig hatte ich Albträume wegen diesem verfluchten Niedermann. Also hab ich meine Mutter angerufen und hab ihr gesagt, dass ich zu ihr kommen wolle.«
Lisbeth nickte.
»Entschuldige«, sagte Miriam.
»Jetzt werd bloß nicht blöd. Ich muss dich um Entschuldigung bitten.«
»Warum das denn?«
»Ich hatte überhaupt nicht nachgedacht. Es kam mir nicht in den Sinn, dass ich dich in Lebensgefahr bringe, wenn ich dir die Wohnung überlasse, aber weiterhin dort gemeldet bleibe. Es war meine Schuld, dass du beinahe umgebracht worden bist. Ich verstehe, wenn du mich hasst.«
Miriam wirkte aufrichtig verblüfft.
»Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen. Ronald Niedermann hat versucht, mich umzubringen. Nicht du.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Okay«, sagte Lisbeth schließlich.
»Ja?«
»Ich bin nicht hierhergekommen, weil ich in dich verliebt bin«, erklärte Lisbeth.
Miriam nickte.
»Ich hatte immer verdammt geilen Sex mit dir, aber ich bin nicht in dich verliebt«, unterstrich sie.
»Lisbeth … ich glaube …«
»Ich wollte eigentlich sagen, dass ich hoffe … wir … ach, verdammt!«
»Was denn?«
»Ich habe nicht viele Freunde …«
Miriam nickte. »Ich werde eine Weile in Paris bleiben. Mein Studium zu Hause ist total den Bach runtergegangen, und ich hab mich stattdessen hier an der Uni eingeschrieben. Ich werde mindestens ein Jahr bleiben.«
Lisbeth nickte.
»Was dann wird, weiß ich noch nicht. Aber ich komme auf jeden Fall nach Stockholm zurück. Ich bezahle die Miete für die Lundagatan und will die Wohnung auch gern behalten. Wenn dir das recht ist.«
»Es ist deine Wohnung. Mach damit, was du willst.«
»Lisbeth, du bist schon ganz schön eigen«, sagte Miriam. »Ich will gern deine Freundin bleiben.«
Sie redeten zwei Stunden lang. Lisbeth hatte keinen Grund, ihre Vergangenheit vor Miriam zu verbergen. Die Zalatschenko-Affäre war sowieso jedem bekannt, der sich eine schwedische Zeitung besorgen konnte, und Miriam hatte die Geschichte mit großem Interesse verfolgt. Sie erzählte Lisbeth detailliert, was in jener Nacht in Nykvarn passiert war, als Paolo Roberto ihr das Leben rettete.
Danach fuhren sie nach Hause in Miriams Studentenzimmer in der Nähe der Universität.
Epilog
Bestandsaufnahme des Nachlassinventars Freitag, 2. Dezember - Sonntag, 18. Dezember
Gegen neun Uhr abends traf sich Annika Giannini mit Lisbeth Salander in der Bar im Södra Teatern. Lisbeth trank Bier und war gerade dabei, ihr zweites Glas zu leeren.
»Tut mir leid, dass ich so spät komme«, entschuldigte sich Annika und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich hatte Ärger mit einem anderen Mandanten.«
»Aha«, sagte Lisbeth.
»Was feiern Sie?«
»Nichts. Ich hatte einfach Lust, mich zu betrinken.«
Annika musterte sie skeptisch, bevor sie sich hinsetzte.
»Überkommt Sie diese Lust öfter?«
»Nach meiner Freilassung hab ich mich hoffnungslos besoffen, aber ich habe keine Veranlagung zum Alkoholismus, wenn Sie das meinen. Es kam mir nur gerade, dass ich jetzt ja zum ersten Mal in meinem Leben ein mündiger Bürger bin und das gesetzlich verbriefte Recht habe, mich hier in Schweden zu betrinken.«
Annika bestellte sich einen Campari.
»Okay«, sagte sie. »Wollen Sie allein trinken oder in Gesellschaft?«
»Am liebsten allein. Aber wenn Sie nicht zu viel reden, können Sie mir Gesellschaft leisten. Ich nehme aber an, Sie haben keine Lust, mit mir nach Hause zu fahren und Sex mit mir zu haben, oder?«
»Entschuldigung?«
»Na ja, dachte ich mir schon. Sie gehören zu diesen wahnsinnig heterosexuellen Menschen.«
Annika Giannini wirkte auf einmal amüsiert.
»Das ist das erste Mal, dass mir ein Mandant Sex vorgeschlagen hat.«
»Sind Sie interessiert?«
»Sorry. Nicht im Geringsten. Aber danke für das Angebot.«
»Was wollten Sie eigentlich, Frau Anwältin?«
»Zweierlei. Entweder trete ich jetzt und hier von meinem Job als Ihre Anwältin zurück, oder Sie gewöhnen sich endlich daran, ans Telefon zu gehen, wenn ich Sie anrufe. Wir hatten diese Diskussion schon einmal nach Ihrer Freilassung.«
Lisbeth Salander sah Annika
Weitere Kostenlose Bücher