Vergebung
auch nicht. Aber Geld verdient man nicht zum Selbstzweck. Das ist verrückt. Deswegen habe ich beschlossen, aufzuhören, sobald ich 10 Millionen beisammenhabe. Ich will diese Verantwortung nicht mehr tragen.«
»Okay.«
»Bevor ich aufhöre, möchte ich, dass Sie festlegen, wie dieses Vermögen in Zukunft verwaltet werden soll. Es muss ein Ziel, Richtlinien und eine Organisation geben.«
»Hmm.«
»Es ist unmöglich, dass sich eine Person allein um Ihre Geschäfte kümmert. Ich habe die Summe langfristig angelegt - in Immobilien, Wertpapieren und so weiter. Sie haben eine komplette Auflistung im Computer.«
»Die hab ich schon gelesen.«
»Mit der anderen Hälfte spekuliere ich, aber die Sache wächst mir einfach über den Kopf. Deswegen habe ich eine Investmentfirma in Jersey gegründet. Sie haben derzeit sechs Angestellte in London. Zwei tüchtige junge Anlageberater und Büropersonal.«
»Yellow Ballroom Ltd? Ich hatte mich schon gefragt, was das sein soll.«
»Unser Unternehmen. Hier in Gibraltar habe ich eine Sekretärin und einen jungen, vielversprechenden Juristen eingestellt … die beiden werden übrigens in einer halben Stunde hier auftauchen.«
»Aha. Molly Flint, 41, und Brian Delaney, 26.«
»Wollen Sie sie kennenlernen?«
»Nein. Ist Brian Ihr Liebhaber?«
»Was? Nein.«
Er wirkte schockiert.
»Ich vermische niemals …«
»Gut.«
»Außerdem … interessiere ich mich nicht für so junge … ich meine, unerfahrene Kerle.«
»Nein, Sie interessieren sich eher für Kerle, die bedeutend tougher rangehen als so ein Grünschnabel. Es geht mich ja nichts an, aber Jeremy …«
»Ja?«
»Seien Sie vorsichtig!«
Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, länger als ein paar Wochen in Gibraltar zu bleiben, um sich wieder zu orientieren. Auf einmal entdeckte sie, dass sie keine Ahnung hatte, was sie machen und wo sie hinfahren sollte. Sie blieb zwölf Wochen. Einmal täglich sah sie in ihre Mailbox und antwortete brav auf jede Mail von Annika Giannini, wenn sie sich meldete. Sie erwähnte jedoch nicht, wo sie sich aufhielt. Ansonsten beantwortete sie keine Mails.
Sie besuchte auch weiterhin »Harry’s Bar«, aber sie kam nur noch, um abends ab und zu ein Bier zu trinken. Den größten Teil des Tages verbrachte sie in The Rock, entweder auf der Terrasse oder im Bett. Sie brachte noch eine zufällige Begegnung mit einem 30-jährigen Offizier der britischen Marine hinter sich, aber es blieb bei einem One-Night-Stand, insgesamt ein eher uninteressantes Erlebnis.
Ihr wurde klar, dass sie sich einfach langweilte.
Anfang Oktober aß sie mit Jeremy MacMillan zu Abend. Sie hatten sich nur noch ab und zu getroffen. Es war dunkel, sie tranken einen fruchtigen Weißwein und besprachen, was sie mit Lisbeths Milliarden anfangen sollten. Plötzlich überraschte er sie mit der Frage, was sie so bedrücke.
Sie betrachtete ihn und überlegte. Dann erzählte sie ebenso überraschend von ihrem Verhältnis zu Miriam Wu und davon, wie ihre Freundin von Ronald Niedermann misshandelt und beinahe umgebracht worden war. Und das alles sei ihre Schuld gewesen. Abgesehen von dem Gruß, den ihr Annika Giannini ausrichtete, hatte Lisbeth kein Wort mehr von Miriam gehört. Und jetzt war sie nach Frankreich gezogen.
MacMillan sagte eine ganze Weile gar nichts.
»Sind Sie in sie verliebt?«, wollte er plötzlich wissen.
Lisbeth dachte nach. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Ich glaube, ich bin einfach nicht der Typ, der sich verliebt. Sie war eine Freundin. Und wir hatten eben auch guten Sex.«
»Kein Mensch kann es auf Dauer vermeiden, sich zu verlieben«, wandte er ein. »Man will es sich vielleicht nicht eingestehen, aber Freundschaft ist wohl die normalste Form von Liebe.«
Sie sah ihn verblüfft an.
»Sind Sie mir böse, wenn ich persönlich werde?«
»Nein.«
»Fliegen Sie in Gottes Namen endlich nach Paris«, sagte er.
Um drei Uhr nachmittags landete sie auf dem Flughafen Charles de Gaulle, nahm den Shuttlebus bis zum Triumphbogen und lief zwei Stunden in den angrenzenden Vierteln herum, um irgendwo ein freies Hotelzimmer zu ergattern. Sie ging in Richtung Süden, zur Seine, wo sie schließlich ein Zimmer im kleinen Hotel Victor Hugo in der Rue Copernic fand.
Sie duschte und rief Miriam Wu an. Sie trafen sich gegen neun Uhr abends in einer Bar in der Nähe von Notre-Dame. Miriam Wu trug ein weißes Hemd und eine Jacke. Sie sah großartig aus. Lisbeth wurde richtig verlegen. Sie küssten
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