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Vergebung

Vergebung

Titel: Vergebung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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regelmäßig, Atmung weniger regelmäßig, Blutdruck 100 zu 70. Außerdem hat sie eine Kugel in der Schulter und eine Schusswunde in der Hüfte. Das sind also zwei Probleme, mit denen ich selbst klarkomme.«
    »Das klingt ja schon mal vielversprechend«, meinte Ellis.
    »Vielversprechend?«
    »Wenn einem Menschen ein Loch in den Kopf geschossen wird und er immer noch lebt, dann muss die Situation als hoffnungsvoll angesehen werden.«
    »Kannst du mir helfen?«
    »Ich muss zugeben, dass ich den Abend mit ein paar guten Freunden verbracht habe. Ich bin erst um eins ins Bett gekommen und dürfte einen ziemlich beeindruckenden Promillewert haben …«
    »Ich werde die Entscheidungen treffen und den Eingriff durchführen. Aber ich brauche jemand, der mir assistiert und mir sagt, ob ich irgendeinen Blödsinn mache. Und ehrlich gesagt ist ein stockbesoffener Professor Ellis vermutlich noch um einige Klassen besser als ich, wenn es darum geht, Gehirnverletzungen einzuschätzen.«
    »Okay. Ich komme. Aber du schuldest mir einen Gefallen.«
    »Vor dem Hotel wartet ein Taxi auf dich.«
     
    Professor Frank Ellis schob sich die Brille auf die Stirn und kratzte sich im Genick. Er blickte konzentriert auf den Computerbildschirm, der jeden Winkel von Lisbeth Salanders Gehirn zeigte. Ellis war 53 Jahre alt, hatte pechschwarzes Haar mit grauen Strähnen, dunkle Bartstoppeln und sah aus wie jemand, der eine Nebenrolle in Emergency Room spielt. Sein Körper verriet, dass er jede Woche ein paar Stunden im Fitnessstudio verbrachte.
    Frank Ellis fühlte sich in Schweden sehr wohl. Als junger Forscher war er im Rahmen eines Austauschprogramms Ende der 70er-Jahre gekommen und zwei Jahre geblieben. Danach war er noch ein paarmal zurückgekehrt, bis man ihm eine Professur am Karolinska anbot. Mittlerweile genoss er auf seinem Fachgebiet internationales Ansehen.
    Anders Jonasson kannte Frank Ellis schon seit vierzehn Jahren. In einem Seminar in Stockholm waren sie sich zum ersten Mal begegnet und hatten entdeckt, dass sie beide begeisterte Fliegenfischer waren, woraufhin Anders ihn zu einem Angelausflug nach Norwegen eingeladen hatte. Über all die Jahre waren sie immer in Kontakt geblieben und hatten noch mehr Angeltouren zusammen unternommen. Zusammen gearbeitet hatten sie jedoch noch nie.
    »Gehirne sind ein Mysterium«, sagte Professor Ellis. »Ich widme mich der Hirnforschung nun schon seit zwanzig Jahren. Sogar schon länger.«
    »Ich weiß. Tut mir leid, dass ich dich so hochgescheucht habe, aber …«
    »Ach was.« Ellis winkte ab. »Das kostet dich eine Flasche Cragganmore, wenn wir das nächste Mal zum Angeln fahren.«
    »Okay. Da komm ich ja günstig weg.«
    »Vor vielen Jahren, als ich in Boston arbeitete, hatte ich eine Patientin - über den Fall habe ich dann im New England Journal of Medicine berichtet. Es war ein Mädchen im Alter deiner Patientin. Sie war gerade auf dem Weg in die Uni, da schoss jemand mit einer Armbrust auf sie. Der Pfeil trat links unterhalb der Augenbraue ein, ging direkt durch den Kopf und kam mitten im Nacken wieder heraus.«
    »Und das hat sie überlebt?«, fragte Jonasson verblüfft.
    »Als sie in die Notaufnahme kam, sah es richtig übel aus. Wir haben den Pfeil abgeschnitten und ihren Kopf in den Computertomografen geschoben. Der Pfeil ging mitten durchs Gehirn. Jeder realistischen Einschätzung nach hätte sie tot sein oder zumindest ein so massives Trauma haben müssen, dass sie ins Koma gefallen wäre.«
    »Wie war ihr Zustand?«
    »Sie war die ganze Zeit bei Bewusstsein. Und nicht nur das. Natürlich hatte sie schreckliche Angst, aber sie war bei ganz klarem Verstand. Ihr einziges Problem war, dass in ihrem Schädel ein Pfeilschaft steckte.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Tja, ich hab mir eine Zange besorgt, den Pfeil rausgezogen und die Wunde versorgt. So ungefähr.«
    »Kam sie durch?«
    »Selbstverständlich war ihr Zustand kritisch, wir haben eine ganze Weile gewartet, bis wir sie wieder aus dem Krankenhaus entlassen haben. Aber ehrlich gesagt - sie hätte genauso gut schon am selben Tag wieder nach Hause gehen können. Ich habe nie eine gesündere Patientin gehabt.«
    Anders Jonasson überlegte, ob Professor Ellis ihn gerade auf den Arm nehmen wollte.
    »Andererseits«, fuhr Ellis fort, »hatte ich vor ein paar Jahren mal einen 42-jährigen männlichen Patienten in Stockholm, der sich den Kopf am Fensterrahmen gestoßen hatte. Ihm wurde übel, und dann verschlechterte sich sein Zustand so

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