Vergebung
Sonntagmorgen verabschiedeten sie sich eilig, bevor Erika zu ihrem Mann Greger Backman nach Hause fuhr.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, meinte Erika. »Aber ich kenne die Anzeichen: Du steckst mal wieder bis über beide Ohren in einer deiner Storys, und alles andere kommt an zweiter Stelle. Weißt du, dass du dich manchmal wie ein Psychopath aufführst, wenn du arbeitest?«
Mikael umarmte sie lächelnd.
Als sie gegangen war, rief er als Erstes im Sahlgrenska-Krankenhaus an und versuchte herauszubekommen, wie es Lisbeth ging. Niemand wollte ihm etwas sagen. Schließlich rief er Kriminalinspektor Marcus Erlander an, der sich erbarmte und ihm erklärte, dass Lisbeths Zustand, gemessen an den Umständen, gut sei und die Ärzte vorsichtigen Optimismus ausdrückten. Als Mikael fragte, ob er Lisbeth besuchen dürfe, erwiderte Erlander jedoch, dass sie auf Beschluss des Staatsanwalts in Untersuchungshaft sei und keinen Besuch empfangen dürfe. Ihr Zustand ließe ohnehin noch kein Verhör zu. Mikael rang Erlander das Versprechen ab, ihn anzurufen, falls sich ihr Zustand verschlechtern sollte.
Als Mikael die Liste der eingegangenen Anrufe auf seinem Handy studierte, zählte er zweiundvierzig unbeantwortete Anrufe und eine SMS von diversen Journalisten, die verzweifelt versuchten, ihn zu erreichen. Die Neuigkeit, dass er Lisbeth Salander gefunden und den Notarzt alarmiert hatte und dass er damit aufs Engste mit den Ereignissen verknüpft war, hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden für dramatische Spekulationen in den Medien gesorgt.
Mikael löschte sämtliche Nachrichten, die ihm die Reporter hinterlassen hatten. Stattdessen telefonierte er mit seiner Schwester Annika und verabredete sich mit ihr zum Mittagessen.
Dann rief er Dragan Armanskij an, den Geschäftsführer und operativen Chef des Sicherheitsunternehmens Milton Security. Er erreichte ihn auf dem Handy in seiner Wohnung in Lidingö.
»Sie haben auf jeden Fall ein Talent, für Schlagzeilen zu sorgen«, bemerkte Armanskij trocken.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie diese Woche nicht schon eher angerufen habe. Ich habe eine Mitteilung bekommen, dass Sie mich suchen, aber ich hatte nicht so wirklich Zeit …«
»Wir hatten hier bei Milton unsere eigenen Ermittlungen laufen. Und ich wusste durch Holger Palmgren, dass Sie über gewisse Informationen verfügten. Aber wie es aussieht, waren Sie uns meilenweit voraus.«
Mikael zögerte kurz, wie er sein Anliegen vorbringen sollte.
»Kann ich Ihnen vertrauen?«, fragte er.
Armanskij schien einigermaßen verblüfft über die Frage.
»In welcher Hinsicht?«
»Stehen Sie auf Salanders Seite oder nicht? Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie nur ihr Bestes wollen?«
»Ich bin ihr Freund. Wie Sie wissen, bedeutet das nicht unbedingt, dass sie auch meine Freundin ist.«
»Ich weiß. Aber ich will wissen, ob Sie bereit sind, sich in ihre Ecke des Boxrings zu stellen und sich eine Schlacht mit ihren übelsten Feinden zu liefern. Das wird ein Kampf, der sich über mehrere Runden hinziehen wird.«
Armanskij überlegte.
»Ich stehe auf ihrer Seite«, sagte er schließlich.
»Kann ich Ihnen Informationen zukommen lassen und gewisse Dinge mit Ihnen besprechen, ohne befürchten zu müssen, dass sie zur Polizei oder zu anderen Leuten durchsickern?«
»Ich kann mich nicht in kriminelle Handlungen mit hineinziehen lassen«, erklärte Armanskij.
»Das war nicht meine Frage.«
»Sie können mir absolut vertrauen, solange alles im gesetzlichen Rahmen bleibt.«
»Mehr verlange ich auch gar nicht. Wir müssen uns treffen.«
»Ich komme am Abend in die Stadt. Abendessen?«
»Nein, ich hab keine Zeit. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es morgen Abend einrichten könnten. Sie und ich und vielleicht noch ein paar Leute, wir sollten uns zusammensetzen und uns unterhalten.«
»Sie sind mir herzlich willkommen bei Milton. Sagen wir 18 Uhr?«
»Noch etwas … ich treffe mich in zwei Stunden mit meiner Schwester Annika Giannini. Sie überlegt, ob sie Lisbeths Verteidigung übernehmen soll, aber sie kann selbstverständlich nicht kostenlos arbeiten. Einen Teil ihres Honorars kann ich aus eigener Tasche zahlen. Könnte Milton Security auch etwas beisteuern?«
»Lisbeth wird einen verdammt guten Fachanwalt für Strafrecht brauchen. Ihre Schwester scheint mir nicht die passende Wahl zu sein, wenn Sie entschuldigen. Ich habe schon mit dem Chefjuristen bei Milton Security gesprochen, er wird einen geeigneten
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