Vergebung
und schwang die Beine über die Bettkante. Eine ganze Weile blieb er erst mal so sitzen und probierte aus, wie es um sein Gleichgewicht bestellt war. Dann stellte er vorsichtig den linken Fuß auf den Boden. Der Axthieb hatte glücklicherweise nur sein bereits geschädigtes rechtes Bein getroffen. Er streckte die Hand nach seiner Prothese aus, die in einem Schrank neben dem Bett lag, und befestigte sie an seinem Beinstumpf. Dann stand er auf. Er legte sein ganzes Gewicht auf sein linkes, unverletztes Bein und versuchte, das rechte auf den Boden zu setzen. Als er das Gewicht langsam nach rechts verlagerte, schoss ihm ein starker Schmerz durchs Bein.
Er biss die Zähne zusammen und machte einen Schritt. Er brauchte Krücken, aber er war sicher, dass das Krankenhaus ihm sofort welche zur Verfügung stellen würde. An die Wand gestützt, hinkte er bis zur Tür. Dazu brauchte er mehrere Minuten, denn nach jedem Schritt musste er stehen bleiben und seine Schmerzen niederkämpfen.
Er stellte sich auf sein gesundes Bein, während er die Tür einen Spalt öffnete und in den Flur hinausspähte. Als er niemand sah, streckte er den Kopf noch ein Stück weiter hinaus. Von links hörte er schwache Stimmen und wandte den Kopf. Das Zimmer der Nachtschwestern lag ungefähr zwanzig Meter weiter auf der anderen Seite des Korridors.
Dann drehte er den Kopf wieder nach rechts und sah den Ausgang am Ende des Flurs.
Am Tag hatte er sich nach Lisbeth Salanders Zustand erkundigt. Immerhin war er doch ihr Vater. Doch anscheinend waren die Krankenschwestern angewiesen worden, nicht über die Patienten zu reden. Eine Schwester hatte ihm ganz neutral mitgeteilt, dass Lisbeths Zustand stabil sei. Dabei war ihr Blick jedoch unbewusst nach links geglitten.
In irgendeinem Zimmer zwischen seinem eigenen und den Räumen der Schwestern lag also Lisbeth Salander.
Vorsichtig zog er die Tür wieder zu und hinkte zurück zum Bett, wo er die Prothese wieder abnahm. Als er schließlich unter die Decke schlüpfte, war er völlig durchgeschwitzt.
Kriminalinspektor Jerker Holmberg kehrte am Sonntagmittag nach Stockholm zurück. Er war müde und hungrig und fühlte sich wie gerädert. Nachdem er mit der U-Bahn bis zum Rathaus gefahren war, ging er zu Fuß zum Polizeipräsidium in der Bergsgatan und suchte dort Jan Bublanski auf. Sonja Modig und Curt Svensson waren bereits dort. Bublanski hatte am Sonntag unvermittelt dieses Treffen einberufen, weil er wusste, dass der Leiter der Voruntersuchung, Richard Ekström, an diesem Tag anderweitig beschäftigt war.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Bublanski. »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns mal in aller Ruhe unterhalten, um Ordnung in dieses ganze Chaos zu bringen. Jerker, hast du etwas Neues für uns?«
»Nichts, was ich dir nicht schon am Telefon mitgeteilt hätte. Zalatschenko gibt keinen Millimeter nach. Allerdings …«
»Ja?«
»Allerdings muss ich Sonja recht geben. Er ist einer der abscheulichsten Menschen, denen ich jemals begegnet bin. Es klingt albern, wenn man so etwas sagt. Polizisten sollten sich mit solchen Äußerungen zurückhalten, aber unter seinem kühlen Äußeren steckt etwas, was mir Angst macht.«
Bublanski räusperte sich. »Also, was wissen wir? Sonja?«
Sie lächelte kühl.
»Diese Runde geht an die Privatdetektive. Ich kann Zalatschenko in keinem öffentlichen Melderegister finden, sehr wohl aber einen Karl Axel Bodin, geboren 1942 in Uddevalla. Seine Eltern hießen Marianne und Georg Bodin. Beide kamen 1946 bei einem Unfall ums Leben. Karl Axel Bodin wuchs bei einem Onkel in Norwegen auf. Vor den 70er-Jahren gibt es also überhaupt keine Angaben zu ihm, dann zog er wieder nach Schweden. Mikael Blomkvists Behauptung, er sei ein ehemaliger russischer Agent, scheint nicht nachweisbar zu sein, aber ich bin geneigt, ihm zu glauben.«
»Und was bedeutet das?«
»Dass er offenbar eine falsche Identität bekommen hat. Und das muss mit Einverständnis der Behörden geschehen sein.«
»Die SiPo?«
»Das behauptet Blomkvist. Wie das genau gelaufen ist, weiß ich nicht. Das würde voraussetzen, dass die Geburtsurkunde und eine ganze Reihe anderer Papiere gefälscht und die gefälschten Informationen in die öffentlichen schwedischen Register eingetragen werden mussten. Ich wage nicht, mich zur Legalität dieses Unterfangens zu äußern. Wahrscheinlich kommt es darauf an, wer so einen Beschluss fasst. Und in diesem Fall musste er fast auf Regierungsniveau gefallen
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