Vergebung
stand von seinem Schreibtisch auf und ging eine Treppe nach oben zur Leiterin der Voruntersuchung, Agneta Jervas. Er fasste den Inhalt seines Gesprächs mit Annika Giannini für sie zusammen.
»Ich wusste nicht, dass Salander eine Anwältin hat.«
»Ich auch nicht. Giannini ist von Mikael Blomkvist angeheuert worden. Vermutlich weiß Salander noch gar nichts davon.«
»Aber Giannini ist doch gar keine Fachanwältin für Strafrecht. Sie beschäftigt sich mit Frauenfragen. Ich habe einmal einen Vortrag von ihr besucht. Sie ist hochintelligent, aber für diesen Fall gänzlich ungeeignet.«
»Das muss Salander trotzdem selbst entscheiden.«
»Möglicherweise muss ich in ihrem eigenen Interesse dagegen Einspruch erheben. Sie braucht einen richtigen Verteidiger und nicht irgendeinen Promi, der nur in die Schlagzeilen kommen will. Hmm. Außerdem wurde Salander für geschäftsunfähig erklärt. Ich weiß nicht, wie da die entsprechenden Regelungen aussehen.«
»Was sollen wir tun?«
Agneta Jervas überlegte kurz.
»Das ist wirklich ein einziger Schlamassel hier. Ich bin nicht sicher, wer den Fall letzlich übernehmen wird, vielleicht geht er ja auch zu Ekström nach Stockholm. Aber sie braucht einen Anwalt. Okay … fragen Sie sie, ob sie Giannini haben will.«
Als Mikael gegen fünf Uhr nachmittags nach Hause kam, machte er sein iBook auf und arbeitete an dem Text weiter, den er im Hotel in Göteborg begonnen hatte. Er arbeitete sieben Stunden lang, bis er die gröbsten Lücken in der Story ausfindig gemacht hatte. Hier stand immer noch einiges an Recherche aus. Eine Frage, die er ohne die vorliegende Dokumentation nicht beantworten konnte, war die, welche Personen bei der SiPo, abgesehen von Gunnar Björck, nun eigentlich an der Verschwörung beteiligt gewesen waren, die Lisbeth Salander ins Irrenhaus befördert hatte. Er hatte auch noch nicht klären können, in welcher Beziehung Björck und der Psychiater Peter Teleborian eigentlich zueinander standen.
Gegen Mitternacht machte er seinen Computer aus und legte sich schlafen. Zum ersten Mal seit Wochen konnte er sich entspannen. Die Story hatte er weitgehend unter Kontrolle. Mochten auch noch einige Fragezeichen auftauchen, so hatte er doch schon genug Material beisammen, um eine ganze Schlagzeilenlawine loszutreten.
Einen Moment lang verspürte er den Drang, Erika Berger anzurufen und sie auf den neuesten Stand zu bringen. Doch dann fiel ihm ein, dass sie ja nicht mehr zu Millennium gehörte. Plötzlich konnte er doch nicht mehr so leicht einschlafen.
Der Mann mit der braunen Aktentasche stieg vorsichtig aus dem 19-Uhr-30-Zug von Göteborg nach Stockholm. Für einen Moment blieb er in der Menschenmenge stehen, um sich zu orientieren. Er hatte die Reise um acht Uhr morgens in Laholm angetreten und war zuerst nach Göteborg gefahren, wo er mit einem alten Freund zu Mittag gegessen hatte, bevor er die Reise nach Stockholm fortsetzte. Er war seit zwei Jahren nicht mehr in Stockholm gewesen und hatte eigentlich nicht vorgehabt, jemals wieder seinen Fuß in die Hauptstadt zu setzen. Obwohl er den Großteil seines Berufslebens hier verbracht hatte, fühlte er sich in Stockholm immer noch fremd, ein Gefühl, das bei jedem seiner Besuche nach der Pensionierung zugenommen hatte.
Langsam spazierte er durch den Hauptbahnhof, kaufte sich die Abendzeitungen und zwei Bananen und musterte nachdenklich zwei verschleierte muslimische Frauen, die an ihm vorbeiliefen. Er hatte nichts gegen verschleierte Frauen. Wenn die Leute sich verkleiden wollten, war das nicht sein Problem. Es störte ihn nur, dass sie sich unbedingt mitten in Stockholm verkleiden mussten.
Er schlenderte knapp dreihundert Meter weiter bis zu Freys Hotel, das sich neben Bobergs alter Post in der Vasagatan befand. In diesem Hotel wohnte er bei jedem seiner seltenen Besuche in Stockholm. Es war zentral gelegen, sauber und außerdem billig, was ihm wichtig war, weil er für die Reisekosten selbst aufkommen musste. Er hatte das Zimmer gestern gebucht und stellte sich als Evert Gullberg vor.
Sobald er auf seinem Zimmer war, ging er auf die Toilette. Mittlerweile hatte er das Alter erreicht, in dem er ziemlich häufig auf die Toilette musste. Es war schon ein paar Jährchen her, dass er eine ganze Nacht durchgeschlafen hatte, ohne aufzuwachen, weil er pinkeln gehen musste.
Anschließend nahm er seinen Hut ab, einen dunkelgrünen englischen Filzhut mit schmaler Krempe, und lockerte seine Krawatte. Mit
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