Vergebung
eine so inhumane Strafe hielt, dass sie schon an Folter grenzte, und er der Meinung war, keinem Menschen könne es gut gehen, wenn er ganz von seinen Freunden getrennt ist, beschloss er, dass Lisbeth Salanders Anwältin Annika Giannini als stellvertretende Freundin einspringen sollte. Jonasson führte ein ernstes Gespräch mit ihr und erklärte, sie würde täglich für eine Stunde Zugang zur Patientin erhalten. In dieser Zeit durfte sie sie besuchen, mit ihr reden oder einfach still neben ihr sitzen und ihr Gesellschaft leisten. Die Gespräche sollten jedoch besser nichts mit Lisbeth Salanders profanen Problemen und bevorstehenden juristischen Auseinandersetzungen zu tun haben.
»Sie ist in den Kopf geschossen worden und wirklich schwer verletzt«, erklärte er. »Ich glaube, dass sie außer Lebensgefahr ist, aber es besteht jederzeit noch das Risiko, dass es zu Blutungen kommt oder Komplikationen auftreten. Sie braucht Zeit und Ruhe. Erst dann kann sie sich mit ihren juristischen Problemen auseinandersetzen.«
Annika Giannini verstand Dr. Jonassons Argumentation. Sie führte ein paar allgemein gehaltene Gespräche mit Lisbeth Salander und deutete an, was für eine Strategie Mikael und sie sich ausgedacht hatten, fand aber noch keine Gelegenheit, ins Detail zu gehen. Lisbeth Salander war einfach zu erschöpft und stand unter so starkem Medikamenteneinfluss, dass sie oft mitten im Gespräch einschlief.
Dragan Armanskij betrachtete Christer Malms Bilder, auf denen die zwei Männer zu sehen waren, die Mikael Blomkvist ab dem »Copacabana« verfolgt hatten. Die Fotos waren gestochen scharf.
»Nein«, sagte er. »Die hab ich noch nie gesehen.«
Mikael Blomkvist nickte. Sie trafen sich am Montagmorgen in Armanskijs Arbeitszimmer bei Milton Security. Mikael war durch die Garage ins Gebäude gekommen.
»Der Ältere ist Göran Mårtensson, dem gehört der Volvo. Seit mindestens einer Woche verfolgt er mich wie mein schlechtes Gewissen, aber das kann natürlich auch schon länger so gehen.«
»Und Sie behaupten, er ist von der SiPo.«
Mikael verwies auf das, was er über Mårtenssons Karriere herausgefunden hatte. Die Fakten sprachen für sich selbst. Dennoch zögerte Armanskij. Er hatte widersprüchliche Empfindungen bei dem, was Blomkvist hier erzählte.
Es war eine Sache, dass die Geheime Staatspolizei sich immer blamierte. Das war völlig natürlich, und das galt nicht nur für die SiPo, sondern wahrscheinlich für alle Nachrichtendienste der Welt. Du lieber Himmel, die französische Geheimpolizei hatte ein Team von Kampftauchern nach Neuseeland geschickt, um das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior in die Luft zu sprengen. Was man wohl getrost als die dilettantischste Geheimdienst-Operation aller Zeiten bezeichnen durfte - Nixons Watergate-Einbrüche vielleicht ausgenommen. Aber von den Erfolgen wurde natürlich nie berichtet. Die Medien fielen über die Sicherheitspolizei her, sobald etwas missglückte, und spielten die Besserwisser, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war.
Armanskij hatte das Verhältnis der schwedischen Medien zur SiPo nie ganz verstanden.
Einerseits betrachteten sie die SiPo als wunderbare Quelle, und fast jede politische Unbedachtheit führte zu reißerischen Schlagzeilen. »Die SiPo vermutet, dass …« Wer eine Stellungnahme der SiPo in seiner Überschrift zitieren konnte, hatte damit Informationen aus erster Hand.
Andererseits war es geradezu ein Hobby von Medien und Politikern, über solche SiPo-Mitarbeiter herzufallen, die nachweislich schwedische Bürger ausspionierten. Darin lag ein gewisser Widerspruch, und irgendwann war Armanskij zu dem Schluss gekommen, dass weder die Politiker noch die Medien sonderlich aufrichtig waren.
Armanskij hatte nichts gegen die Existenz der SiPo einzuwenden. Irgendjemand musste ja die Verantwortung dafür tragen, dass diese nationalbolschewistischen Irren, die ein bisschen zu viel Bakunin gelesen hatten, nicht anfingen, Bomben aus Kunstdünger und Öl zusammenzubauen und in einem Lieferwagen vor Rosenbad, dem Sitz der schwedischen Regierung, abzustellen. Also war die SiPo durchaus notwendig, und Armanskij fand, dass auch ein wenig Spionage nicht immer von Übel war, sofern sie die allgemeine Sicherheit der Bürger gewährleistete.
Natürlich stellte sich dabei das Problem, dass eine solche Organisation ihrerseits aus verfassungsrechtlichen Gründen unter strenger öffentlicher Kontrolle stehen muss. Allerdings hatten Politiker und
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