Vergebung
angewidert den Bericht zu. Die Sache gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm absolut nicht, dass Zalatschenko und Björck anscheinend am selben Tag gestorben waren. Der eine erschossen von einem durchgedrehten Rechthaber, der andere durch Selbstmord. Doch hatte die kriminaltechnische Untersuchung des Tatorts nicht den geringsten Hinweis darauf erbracht, dass jemand bei Björcks Hinscheiden nachgeholfen hatte.
»Er stand unter großem Stress«, sagte Bublanski. »Er wusste, dass die Zalatschenko-Affäre demnächst auffliegen würde und dass er selbst Gefahr lief, wegen Verstoß gegen das Prostitutionsgesetz ins Gefängnis zu wandern und in den Medien bloßgestellt zu werden. Ich frage mich, wovor er am meisten Angst hatte. Er war krank und hatte schon lange chronische Schmerzen … aber ich hätte es trotzdem sehr zu schätzen gewusst, wenn er einen Brief oder so was hinterlassen hätte.«
»Viele Selbstmörder schreiben keinen Abschiedsbrief.«
»Ich weiß. Okay. Wir haben keine Wahl. Wir legen Björck also zu den Akten.«
Erika Berger brachte es nicht gleich fertig, sich auf Moranders Stuhl zu setzen und seine persönlichen Gegenstände beiseitezuschieben. Sie machte mit Gunnar Magnusson aus, dass er mit Moranders Familie sprechen sollte, damit die Witwe bei passender Gelegenheit vorbeikommen und aussortieren konnte, was ihm gehörte.
Stattdessen ließ Erika sich mitten in der Bürolandschaft eine Fläche am Tisch in der Mitte frei räumen, wo sie ihren Laptop aufstellte und das Kommando übernahm. Es war das völlige Chaos. Aber drei Stunden nachdem sie in fliegender Hast das Ruder der SMP übernommen hatte, war die Seite mit dem Leitartikel druckfertig. Gunnar Magnusson hatte einen vierspaltigen Artikel über Håkan Moranders Lebenswerk verfasst. Die Seite war um ein großes Foto von Morander herum aufgebaut. Links davon war sein halb fertiger Leitartikel, am unteren Rand eine Reihe von Bildern. Das Layout wirkte ein wenig unausgeglichen, hatte aber eine emotionale Durchschlagskraft, die diesen Mangel wettmachte.
Um kurz vor sechs Uhr abends ging Erika die Überschriften auf der ersten Seite durch und besprach die Texte noch einmal mit dem Redaktionschef, als Borgsjö zu ihr kam und sie an der Schulter berührte. Sie blickte auf.
»Könnte ich kurz ein paar Worte mit Ihnen wechseln?«
Sie gingen zum Kaffeeautomaten ins Pausenzimmer.
»Ich wollte nur sagen, dass ich sehr zufrieden damit bin, wie Sie heute das Kommando übernommen haben. Ich glaube, Sie haben uns alle überrascht.«
»Ich hatte ja keine große Wahl. Aber es wird noch dauern, bis sich hier alles eingespielt hat.«
»Das ist uns schon bewusst.«
»Uns?«
»Ich meine, sowohl dem Personal als auch der Führungsspitze. Besonders der Führungsspitze. Aber nach dem, was heute passiert ist, bin ich mehr denn je überzeugt davon, dass Sie die absolut richtige Wahl sind.«
Erika errötete leicht. Das war ihr seit ihrem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr passiert.
»Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf …«
»Natürlich.«
»Ich habe gehört, dass Sie mit Anders Holm, dem Nachrichtenchef, eine kleine Meinungsverschiedenheit wegen der Überschriften hatten.«
»Da ging es um die Steuerentwürfe der Regierung. Seine Headlines waren mir zu subjektiv. Wo ich übrigens schon mal dabei bin - ich werde ab und zu einen Leitartikel schreiben, aber ich bin, wie gesagt, parteipolitisch nicht aktiv, und wir müssen die Frage klären, wer Chef der Leitartikelredaktion wird.«
»Die wird bis auf Weiteres Magnusson übernehmen«, meinte Borgsjö.
Erika Berger zuckte mit den Schultern.
»Meinetwegen. Aber es sollte eine Person sein, die die Position dieser Zeitung klar vertritt.«
»Verstehe. Aber was ich sagen wollte, war, dass Sie Holm ein bisschen Spielraum lassen sollten. Er arbeitet schon lange bei der SMP und ist seit fünfzehn Jahren Nachrichtenchef. Er kann ein echter Querkopf sein, aber er ist praktisch unentbehrlich.«
»Ich weiß. Das hat mir Morander schon gesagt. Aber wenn es um die Nachrichtenpolitik geht, muss er sich an die Regeln halten. Und letztendlich haben Sie mich ja auch angestellt, um diese Zeitung zu erneuern.«
Borgsjö nickte nachdenklich.
Annika Giannini war müde und gereizt, als sie am Mittwochabend im Göteborger Hauptbahnhof den X2000 bestieg, um nach Stockholm zurückzufahren. Sie fühlte sich, als hätte sie die letzten Monate quasi in diesem Zug gewohnt. Ihre Familie hatte sie so gut wie gar nicht mehr gesehen.
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