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Vergebung

Vergebung

Titel: Vergebung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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zu ihrem eigenen Erstaunen empfand sie Anders Jonassons Besuche als angenehm, obwohl er an ihr herumfummelte und ihre Fieberkurven analysierte.
    »Wie ist mein Zustand?«, wollte sie wissen.
    »Sie sind ganz eindeutig auf dem Weg der Besserung. Aber Sie müssen sich bei Ihrer Gymnastik noch mehr anstrengen. Außerdem kratzen Sie ständig den Wundschorf an Ihrem Kopf auf. Lassen Sie das.«
    Er machte eine Pause.
    »Darf ich Ihnen mal eine persönliche Frage stellen?«
    Sie sah ihn an. Er wartete, bis sie nickte.
    »Dieser Drache, den Sie da eintätowiert haben … ich habe nicht das ganze Tattoo gesehen, aber ich habe gemerkt, dass es ganz schön riesig ist und den Großteil Ihres Rückens einnimmt. Warum haben Sie sich das machen lassen?«
    »Sie haben ihn nicht gesehen?«
    Plötzlich lächelte er.
    »Ich meine, ich habe schon einen Blick darauf erhascht, aber als Sie völlig unbekleidet in meiner Gesellschaft waren, war ich vollauf damit beschäftigt, Ihre Blutungen zum Stillstand zu bringen und Kugeln aus Ihnen herauszuoperieren und all so was.«
    »Warum fragen Sie danach?«
    »Reine Neugier.«
    Lisbeth Salander überlegte eine ganze Weile. Schließlich sah sie ihn an.
    »Ich hab mir das aus privaten Gründen machen lassen, über die ich nicht reden will.«
    Anders Jonasson dachte kurz über diese Antwort nach und nickte dann.
    »Okay. Entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe.«
    »Wollen Sie es ganz sehen?«
    Er sah sie erstaunt an.
    »Ja. Warum nicht.«
    Sie drehte ihm den Rücken zu und zog sich das Nachthemd über den Kopf. Dann stellte sie sich so hin, dass das Licht vom Fenster auf ihren Rücken fiel. Er stellte fest, dass der Drache eine große Fläche auf der rechten Hälfte ihres Rückens bedeckte. Das Tattoo begann ganz oben auf der Schulter und zog sich bis zum Drachenschwanz auf ihrem Oberschenkel. Es war schön und professionell ausgeführt und sah aus wie ein richtiges Kunstwerk.
    Nach einer Weile wandte sie den Kopf.
    »Zufrieden?«
    »Es sieht toll aus. Aber das muss ja höllisch wehgetan haben.«
    »Ja«, gab sie zu. »Das hat wehgetan.«
    Anders Jonasson war etwas verwirrt, als er Lisbeth Salanders Krankenzimmer verließ. Mit ihren Heilungsfortschritten war er zufrieden. Aber er wurde einfach nicht schlau aus diesem seltsamen Mädchen. Man brauchte keinen Magister in Psychologie zu haben, um zu dem Schluss zu kommen, dass es ihr psychisch nicht allzu gut ging. Wenn sie mit ihm sprach, war ihr Ton höflich und reserviert. Er hatte gehört, dass sie auch zum übrigen Personal höflich war, aber keinen Ton sagte, wenn die Polizei sie besuchte. Sie verschloss sich extrem in ihrer harten Schale und hielt ihre Umwelt unmissverständlich auf Distanz.
    Die Polizei hatte sie eingesperrt, und eine Staatsanwältin wollte sie wegen Mordversuchs und schwerer Körperverletzung anklagen. Er war verblüfft, dass ein so kleines, zerbrechliches Mädchen die physische Stärke besitzen sollte, die für solche schweren Gewalttaten erforderlich war, zumal wenn sie sich gegen ausgewachsene Männer richtete.
    In erster Linie hatte er sie nach dem Drachen gefragt, weil er ein persönliches Thema suchte, über das er mit ihr reden konnte. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sie ein paarmal pro Woche zu besuchen. Eigentlich lagen diese Besuche außerhalb seines Dienstplans, denn Dr. Helena Endrin war Lisbeths betreuende Ärztin. Aber Anders Jonasson war der Chef der Unfallabteilung und unglaublich zufrieden mit seinem Einsatz in jener Nacht, als Lisbeth Salander in die Notaufnahme eingeliefert worden war. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen, als er die schwer zugängliche Kugel entfernte, und soweit er sehen konnte, zeigte sie keine negativen Folgen in Form von Gedächtnislücken, beeinträchtigten Körperfunktionen oder anderen Behinderungen. Wenn ihre Heilung weiter voranschritt, konnte sie das Krankenhaus mit einer Narbe auf der Kopfhaut, aber ohne weitere Komplikationen verlassen. Welche Narben sich auf ihrer Seele gebildet hatten, konnte er jedoch nicht sagen.
    Als er zu seinem Büro kam, entdeckte er einen Mann im dunklen Sakko, der neben der Tür an der Wand lehnte. Er hatte zerzaustes Haar und einen gepflegten Bart.
    »Dr. Jonasson?«
    »Ja.«
    »Guten Tag, mein Name ist Peter Teleborian. Ich bin Oberarzt der psychiatrischen Klinik St. Stefan in Uppsala.«
    »Ja, ich erkenne Sie wieder.«
    »Schön. Ich würde mich gern unter vier Augen mit Ihnen unterhalten, wenn Sie kurz Zeit hätten.«
    Anders

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