Vergeltung
dass er
nicht in das Täterprofil passt …«
Die Tür ging auf, und Michael kam herein. Er sah müde aus, seine
Augen waren geschwollen. Er entschuldigte sich und ließ sich schwer auf einen
Stuhl fallen.
»Die Familie Mathiesen kommt um 8.30 Uhr. Michael und ich werden
Erik in Raum 1 befragen und anschließend Jane und John Mathiesen. Egon und
David, Sie können die anderen beiden Jungs, Kristian und Kenneth, verhören;
Letzterer leidet übrigens am Downsyndrom. Es wird ein Beisitzer vom Sozialamt
dabei sein. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass wir Alex Pedersens
Exfreundin vorladen sollten, um mehr über sein aufbrausendes Temperament zu
erfahren.«
»David«, fuhr Rebekka fort, »ich habe noch keinen Bericht über die
Verhöre von Annas Freundinnen Mia und Katja bekommen. Haben Sie ihn mir ins
Büro gelegt?«
David begegnete ihrem Blick, kniff die Augen zusammen und sah wieder
weg.
»Ich habe ihn Teit gegeben«, antwortete er.
Rebekka sah ihn kalt an und erwiderte so ruhig wie möglich: »Ich
leite die Ermittlungen und alle Berichte gehen über meinen Tisch. Haben Sie das
verstanden?« Sie wartete keine Antwort ab, sondern informierte die anderen kurz
über die wesentlichen Punkte der gestrigen Obduktion.
Es klopfte und der wachhabende Beamte steckte den Kopf zur Tür
herein.
»Draußen an der Schranke warten fünf Mitglieder der Familie
Mathiesen.«
—
Erik Mathiesen war groß
und kräftig und verfügte nicht über die natürliche Eleganz seines Vaters und
seines großen Bruders. Seine Gesichtszüge waren gröber, und die Mundwinkel
zeigten nach unten, doch seine Augen waren groß und von einem schönen Grün.
Rebekka bot ihm eine Cola an, die er
zurückwies. Er saß zurückgelehnt und mit verschränkten Armen Michael und Rebekka
gegenüber.
»Ich weiß, wie schwer das für Sie ist, Erik.« Rebekka sah ihn an,
und er nickte schüchtern.
»Wie war Ihr Verhältnis zu Anna?«
Erik antwortete erst nicht, und Rebekka wiederholte nach einer
kurzen Wartezeit die Frage. Er zuckte mit den Schultern.
»Sehr gut. Sie war ziemlich okay.« Er starrte auf die Tischplatte,
während er sprach.
»Sie sagen, sehr gut. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie und Anna
sehr vertraut miteinander waren, dass Sie sie wirklich gern gehabt haben.
Eigentlich habe ich geglaubt, dass Sie ein Paar waren.«
Erik beugte sich langsam über den Tisch, und Rebekka fragte sich
einen Moment, ob ihm schlecht geworden war. Dann merkte sie, dass die kräftigen
Schultern bebten, und ihr wurde klar, dass er weinte. Michael und sie einigten
sich stillschweigend, zu warten, bis er sich beruhigt hatte. Nach einer Weile
seufzte Erik tief, richtete sich auf und sah ihnen in die Augen.
»Ich habe sie geliebt. Ich habe Anna geliebt. Sie war das Beste, das
mir je passiert ist, und mir ist völlig gleichgültig, was die anderen sagen.
Anna hat mich auch geliebt. Wir wollten die Stadt verlassen, vielleicht eine
Weltreise machen, wenn wir das Geld zusammengespart hätten.«
Er schlug die breiten Hände vor das Gesicht und schluchzte erneut,
diesmal leiser.
»Warum wollten Sie hier weg?«, fragte Rebekka sanft.
Erik sah sie wütend an.
»Weil das eine Scheißstadt ist. Man kann nicht man selbst sein und
machen, was man will. Wir konnten unsere Liebe nicht offen leben. Meine Eltern
… Anna war ja keine von uns. Meine Eltern wollen, dass ich einmal ein Mädchen
aus der Gemeinde heirate.«
Erik blickte Rebekka mit vor Trauer verhangenen Augen an.
»Aber wir haben uns geliebt. Deshalb wollten wir hier weg. Wir haben
dafür gespart. Das war … Das war unser Geheimnis. Unser
ureigenes. Und jetzt werde ich nie hier wegkommen.« Erik lehnte sich weinend
über den Tisch.
—
»Das ist ja die reinste
Romeo-und-Julia-Geschichte«, sagte Michael, als er mit Rebekka in der kleinen Küche
stand, um neuen Kaffee zu holen.
»Absolut«, gab Rebekka zu, während
sie in einen Keks biss. Er schmeckte mehr nach Schrank als nach Keks, und sie
spuckte ihn umgehend in den Abfalleimer. Sie war frustriert und verärgert, weil
das Gespräch mit Erik nicht viel gebracht hatte.
Draußen auf dem Gang stießen sie auf Egon und David.
»Sie hatten nichts Neues zu berichten, die beiden Jungs«, sagte
David und sah Michael an. Egon drückte sich an ihnen vorbei in die Küche.
»Sie haben Anna sehr gemocht. Sie haben sie vergangenen Donnerstag
das letzte Mal gesehen, als sie mit der Familie zusammen zu Abend gegessen hat.
Samstagabend hat Kristian sich mit ein
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