Vergeltung
den
Kontakt zu ihm gesucht. Schließlich hatte er sie zum Abendessen zu sich
eingeladen und ihr ruhig erklärt, dass es ein Fehler gewesen war, dass er an
mehr kein Interesse hatte und sie, da sie nun einmal Kollegen waren, die
Episode vergessen und hinter sich lassen sollten. Bettina hatte geweint und
gewütet, ihm abwechselnd gedroht und ihn zu verführen versucht, und schließlich
hatte er sie gebeten zu gehen. Die Wochen darauf waren im Präsidium nicht
einfach gewesen. Sie hatte sich ihm gegenüber so kalt und abweisend verhalten,
dass sowohl David als auch Susanne das nicht unkommentiert gelassen hatten.
Eines Abends hatte er David bei ein paar Bieren in ihrer Stammkneipe, Cheers,
alles erzählt. Der Kollege hatte gelacht und ihm auf die Schulter geklopft.
»Das muss man sich einmal vorstellen, dass du auf die reingefallen
bist. Die hat doch Haare auf den Zähnen. Das wissen doch alle«, sagte er und
musste immer wieder lachen.
Schließlich war Ruhe eingekehrt, doch Michael zweifelte nicht daran,
dass Bettina noch immer Interesse an ihm hätte, falls er seine Meinung ändern
sollte. Doch das würde er nicht tun, obwohl eine hartnäckige Frau dem
Selbstbewusstsein guttat.
Plötzlich tauchte das Bild von Rebekka vor seinem inneren Auge auf,
und er verspürte ein leichtes Ziehen im Bauch. Sie sprach etwas in seinem
tiefsten Inneren an, eine Mischung aus Bewunderung und Beschützerinstinkt.
Trotz ihrer Meinungsverschiedenheit gestern fand er, dass sie ein gutes Team
waren, und als er heute Morgen aufgewacht war, hatte er sich gefreut, zur
Arbeit zu gehen. Er hatte überlegt, was er anziehen sollte, daran gedacht, sich
die Haare zu gelen und Deo und Aftershave nicht zu vergessen. Das einzige
Problem war David. Es war offensichtlich, dass der Kollege sich durch Rebekka
unter Druck gesetzt fühlte. Michael fasste den Entschluss, ihn sich vorzunehmen
und das Ganze bei einem Bier zu bequatschen. Er lächelte vor sich hin, während
er die Nummer seiner Eltern wählte. Kurz darauf hörte er die zwitschernde,
frohe Stimme seiner Mutter. Natürlich konnten sie Samstag auf Amalie aufpassen.
Das war doch keine Frage.
—
Rebekka nahm sich einen
Apfel aus der Schale auf dem Schreibtisch, und als sie gerade kräftig hineingebissen
hatte, klopfte es an der Tür und Egon steckte seinen roten Kopf ins Zimmer.
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«,
fragte er.
»Natürlich«, murmelte sie und schluckte das Apfelstück hinunter. Sie
zeigte einladend auf den Stuhl gegenüber.
»Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, doch als David und ich Kenneth
Mathiesen verhört haben, hatte ich das Gefühl, dass der Junge vor irgendetwas
Angst hatte.«
Rebekka richtete sich in ihrem Stuhl auf und merkte, wie sich
plötzlich jeder Muskel in ihrem Körper anspannte.
»Wie meinen Sie das?«
»Das ist schwer zu erklären, aber als wir ihn nach Anna gefragt
haben, sah er sehr ängstlich aus, richtig erschrocken, und hat etwas davon
gemurmelt, dass Anna tot und überall Blut war, und als wir ihn gefragt haben,
was er damit gemeint hat, hat er nur schweigend den Kopf geschüttelt.
Wahrscheinlich macht ihm die ganze Situation einfach Angst, die Presse
berichtet ja auch von nichts anderem. Sie bringen Fotos von Golfschlägern und
Annas Halskette auf den Titelseiten, die Kinder werden pausenlos mit dem Fall
konfrontiert …« Egon verstummte kurz. »Es hat bestimmt nichts zu bedeuten, aber
jetzt habe ich es zumindest erwähnt.« Er stand etwas mühsam auf.
»War David auch der Meinung, dass Kenneth Mathiesen Angst hatte?«
Egon zuckte mit den Schultern.
»Er hat es auch gemerkt. Wir haben kurz darüber gesprochen, aber er
fand nicht, dass wir das weitergeben sollten.«
Egon sah zu Boden, während er sprach. Er war sich offensichtlich
nicht sicher, ob er seinem Kollegen in den Rücken gefallen war.
»Ich weiß es zu schätzen, dass Sie zu mir gekommen sind.«
Rebekka sprach mit fester Stimme und klopfte Egon auf die Schulter.
»Ich werde es nicht vergessen. Danke.«
Er lächelte sie verlegen an und schloss die Tür hinter sich.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. Es war noch eine Stunde bis zur
Vernehmung von Alex Pedersens Exfreundin. Sie schaffte es noch in den
Fruerwald. Sie musste sich den Tatort noch einmal ansehen, das Ganze noch einmal
auf sich wirken lassen.
—
Es regnete, als Rebekka
auf dem kleinen Parkplatz am Rand des Fruerwalds parkte. Dunkle Wolken jagten
über den Himmel, und in der Ferne sah sie kleine Wellen auf dem Fjord.
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