Vergeltung
Jahr.«
Rebekka und Michael gingen zum Auto, hinter ihnen knallte die
Haustür zu.
Rebekka legte den Gang ein und trat kräftig aufs Gaspedal, sodass
hinter ihnen eine graue Staubwolke aufwirbelte. Michael lachte gutmütig.
»Klasse. Rebekka Holm in Fahrt.«
»Ich war so wütend, dass es mir fast die Sprache verschlagen hat.
Was zum Teufel hat er sich dabei gedacht …?«
Erst als sie auf der Autobahn waren, entspannten sich ihre Schultern
langsam. Michael schaltete das Autoradio ein und suchte nach besänftigender Musik,
und kurz darauf grölten beide lautstark bei den Lost Lovers mit.
—
Alex fuhr mit einem Satz
im Bett hoch und sah sich verwirrt in dem halbdunklen Kellerzimmer um. Er hatte
sich nachmittags hingelegt, doch sein Kopf schmerzte noch immer. Verdammte Kopfschmerzen.
Sie kamen immer, wenn er Stress hatte. Als könnte sein Kopf nicht all die
Gedanken fassen, die sich wie eine große schwarze Blase verdichteten und
langsam seinen Schädel ausfüllten. Alex rieb sich kräftig die Augen, tastete
nach den Zigaretten und dem Feuerzeug, das zwischen Stapeln schmutziger
Kleider, Zeitschriften und Mineralwasserflaschen auf dem Boden lag. Die
Unordnung war nicht besser davon geworden, dass die Polizei in seinem Chaos
herumgewühlt hatte. Selbst an seinem Schreibtisch, dem einzigen Platz, den er
sonst irgendwie in Ordnung zu halten versuchte, waren die Schubladen
herausgezogen.
Er musste aufräumen. Alex zündete
die Zigarette an und inhalierte den Rauch bis tief in die Lungen.
Du musst aufräumen, du musst aufräumen, Alex ,
hörte er die schrille Stimme seiner Mutter. Sie selbst räumte nie auf, warum
sollte er es dann tun. Verbiestertes Weibsbild. Nie hatte sie ein nettes Wort
für ihn übrig gehabt. Immer hatte sie auf ihm herumgehackt. Er spürte, wie ihn
heiße Wut überkam. Nie mehr sollte jemand so mit ihm reden. Er war bei der
erstbesten Gelegenheit von zu Hause geflüchtet, und obwohl er nur Geld für
dieses Kellerzimmer hatte, war es allemal besser als sein Elternhaus. Das
Zimmer war groß und etwas dunkel, aber er hatte einen eigenen Eingang und neben
dem Heizungskeller war ein etwas primitives Badezimmer mit einer Toilette und
einer Dusche eingebaut worden, die ausgezeichnet funktionierte. Doch das Beste
war die Ruhe. Er genoss es, tun zu können, was er wollte. Lange zu schlafen und
anschließend stundenlang am Computer zu sitzen und im Netz zu surfen. Er war
inzwischen bei der Gemeinde vorstellig geworden und hatte beteuert, dass er
eifrig nach Arbeit suchte, doch nur schwer etwas finden konnte, da er
vorbestraft war. Bisher war er damit durchgekommen. Jetzt hatte er eine neue
Sachbearbeiterin, eine emsige Frau mittleren Alters, die ihm mit
Erwachsenenbildung und Beschäftigungsmaßnahmen gedroht hatte.
Schnell verscheuchte er die düsteren Gedanken und zog erneut an der
Zigarette.
Über ihm wohnte ein älteres Ehepaar, Herr und Frau Larsson. Sie
waren ruhige Menschen, die ihm immer freundlich zunickten, und hin und wieder
verwickelten sie ihn in ein Gespräch über das Wetter, die Immobilienpreise oder
etwas anderes in der Art.
Alex drückte die Zigarette in dem überfüllten Aschenbecher aus.
Seltsam, dass diese Anna tot war. Er dachte daran, wie sie am Samstag mit ihm
geflirtet hatte. Sah ihre großen Augen vor sich und die glänzenden vollen
Lippen. Es pochte im Schritt, und er schob die Hand in die Unterhose.
—
Die Wohnung lag direkt in
der Fußgängerzone von Esbjerg. Ein belebter Platz, wo Cafés und Boutiquen sich
aneinanderreihten. Rebekka parkte vor der Haustür, und sie nahmen den Fahrstuhl
in die oberste Etage. Als sie die Wohnung aufschlossen, schlug ihnen der Geruch
von Ajax entgegen. Hier war vor Kurzem sauber gemacht worden. Die Wohnung
bestand aus einem großen Wohnzimmer mit einer sogenannten französischen Küche.
Eine Tür führte zu einer Dachterrasse mit Aussicht über die Dächer von Esbjerg.
Das Schlafzimmer war geräumig und hell und hatte einen Spiegelschrank, der eine
ganze Wand einnahm. Das kleine moderne Bad war mit einem Whirlpool
ausgestattet. Genau wie in dem Haus im Retortvej war alles frisch gestrichen,
gepflegt und in hellen Farben gehalten.
Sie zogen Handschuhe an und begannen
die Wohnung zu durchsuchen. Rebekka schob den Bettüberwurf zur Seite – zwei
Kopfkissen und zwei Decken. Sie roch an dem sauberen Bettzeug. Dann sah sie unter
das Bett. Nichts. Sie öffnete die Nachttischschubladen und fand ein paar
Haargummis mit langen, blonden Haaren,
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