Vergeltung
essen gehen? Ich kenne
ein phantastisches kleines Restaurant, Jeromes, draußen in den Dünen in
Richtung Hvide Sande. Darf ich Sie zum Abendessen einladen? Dann können wir in
einer angenehmen Atmosphäre in aller Ruhe den Fall einmal durchsprechen.«
»Natürlich dürfen Sie das. Das klingt super.«
Sie lächelte ihn verlegen an und spürte seinen Blick auf sich ruhen.
»Sie sehen mich so an. Was ist los?« Ihre Stimme war leise, sie
schlug den Blick nieder, fingerte an der Papierserviette herum.
Das laute Klingeln von Michaels Handy machte den Moment zunichte.
»Hallo, Maus.« Er hielt die Hand über das Handy und flüsterte ihr
zu: »Amalie.«
Sie nickte und konzentrierte sich auf ihr Essen.
»Ja, natürlich kommst du bald zu mir. Papa hat im Moment nur so viel
zu tun, deshalb bleibst du eine Weile bei Oma und Opa.«
Michaels Stimme wurde undeutlich, vermischte sich mit den Geräuschen
um sie herum. Den Schreien der Vögel, einem lauten, dröhnenden Lachen, einem weinenden
Kind, einem Auto, das auf dem Parkplatz Gas gab, und einem wütend bellenden
Hund. Die Wurst schmeckte ihr nicht mehr, war viel zu fett, und die rohen
Zwiebeln verursachten Sodbrennen. Sie stand auf, gab Michael wortlos zu
verstehen, dass sie schon vorging, und ließ ihren Hotdog in den Müll fallen.
Sie hastete über die unebenen Pflastersteine, doch nach wenigen Minuten tauchte
Michael atemlos an ihrer Seite auf.
»Warum sind Sie gegangen?« Er sah sie verwirrt an.
Sie machte eine Bewegung mit den Armen.
»Wir haben viel zu tun, und ich habe mir gedacht, dass ich Jens
Anker, dem Körpertherapeuten, einen Besuch abstatte. Wir müssen wissen, was er
beizutragen hat.«
»Gut, dann komme ich mit.«
»Das brauchen Sie nicht.« Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Ich
besuche ihn allein. Wir sehen uns später im Präsidium.«
Er sah sie enttäuscht an, und sie drückte schnell seinen Arm.
»Und morgen sind wir verabredet«, fügte sie versöhnlich hinzu, und
er schien besänftigt.
—
Jens Anker hatte seine
Praxis in einem der alten niedrigen Fischerhäuser in der Grønnegade, einer
kleinen gepflasterten Straße, nur einen Steinwurf vom Hafen entfernt. Rebekka
erkannte das Haus sofort wieder. Es hatte sich seit damals nicht verändert und
war in einem warmen Gelbton gestrichen, hatte weiße Fenster und eine weiße
Haustür. Stockrosen streckten sich an der Mauer dem Himmel entgegen, während
sich hellrote duftende Rosen um das schmiedeeiserne Treppengeländer wanden. An
der Haustür verkündete ein modernes Namensschild in weißem Plastik, dass hier Jens Anker, Körpertherapeut wohnte. Sprechzeiten: Montag – Freitag 10 – 16 Uhr. Rebekka schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sie
merkte, wie die Vorurteile auf sie einstürmten. Sie rechnete damit, dass die
Tür gleich aufgehen und sie einer Gestalt aus den Siebzigerjahren in einer
orangeroten Pluderhose, mit langen Haaren und nackten, nicht ganz sauberen Füßen
gegenüberstehen würde. Doch nur was die nackten Füße anging, hatte sie recht,
und die waren nicht schmutzig, sondern sauber und sonnengebräunt.
Jens Anker war ein kleiner,
muskulöser, glatzköpfiger solariumgebräunter Mann Mitte fünfzig. Er trug eine
enge dunkelblaue Jeans und ein weißes T-Shirt, das seine durchtrainierte Brust
betonte. Er lächelte sie strahlend an und entblößte dabei die perfektesten
Zähne, die Rebekka jemals gesehen hatte. Ihr Anblick ließ sie an
Klinkerfassaden denken.
»Kommen Sie herein«, sagte er mit einer sanften, angenehmen Stimme,
als sie sich vorgestellt hatte, und führte sie durch eine kleine Diele in ein
großes helles Zimmer, das sowohl zur Straße als auch zu einem kleinen Hof hin
Fenster hatte, in dem Blumentöpfe standen. Eine Wand wurde von einem weißen
Sofa eingenommen, auf dem sich Kissen in allen möglichen Größen, Farben und Formen
stapelten.
»Setzen Sie sich und machen Sie es sich bequem.« Jens Anker zeigte
einladend auf das Sofa, und Rebekka zögerte kurz, bevor sie sich hinsetzte. Sie
bereute es in dem Moment, in dem ihr Körper tief in die weiche Unterlage sank.
Jens Anker nahm behände auf dem Lederstuhl ihr gegenüber Platz und schlug die
Beine unter.
»Zuallererst wüsste ich gerne von Ihnen, was konkret unter
Körpertherapie zu verstehen ist«, sagte sie, während sie sich auf dem Rand des
Sofas in eine Position manövrierte,
in der sie sich ihm ebenbürtiger fühlte.
Jens Anker nickte bereitwillig.
»Die Körpertherapie ist eine Therapieform, die
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