Vergeltung
sich sowohl
körperlicher wie auch mentaler Techniken bedient, um schnell die Oberfläche zu
durchbrechen und zum Kern des Problems vorzudringen. Unser gesamtes Leben mit
all seinen positiven wie negativen Impulsen ist im Körper gespeichert, und wenn
man diese zum Beispiel durch Massagen oder Körperübungen anspricht, werden
Gefühle freigesetzt und man kommt wieder ins Gleichgewicht.«
»Und wann und wo massieren Sie Ihre Patienten?«, fragte Rebekka und
sah sich demonstrativ nach einer Massagebank um.
»Wenn es nötig ist. Ich habe eine zusammenklappbare Bank dort im
Schrank.« Jens Anker zeigte auf einen großen weißen Bauernschrank. »Die
Therapie ist sehr effektiv. Sie sollten es einmal probieren.«
Sie saßen sich einen Moment lang schweigend gegenüber, bis der
Therapeut unruhig hin und her rutschte.
»Am Telefon sagten Sie, dass es um Anna Gudbergsen geht.« Jens
Ankers Lächeln wurde immer breiter.
»Stimmt.« Rebekka richtete sich auf und widerstand dem Drang
aufzustehen. »Ich habe gehört, dass sie zu Ihnen gekommen ist. Wie lange war
sie bei Ihnen in Behandlung?«
Jens Anker runzelte die Stirn und blickte in den sonnigen Hof
hinaus, als würde er etwas Interessantes beobachten. Rebekka folgte seinem
Blick. Auf den Fliesen saß eine scheckige Katze und leckte sich die Pfoten. Der
Körpertherapeut dachte lange nach, bevor er antwortete.
»Sie ist über einige Monate einmal die Woche zu mir gekommen.« Jens Anker
schwieg, wieder in die eigenen Gedanken vertieft, und Rebekka ärgerte sich
langsam über seine schwerfällige Art.
»Darf ich Sie daran erinnern, dass wir in einem Mordfall ermitteln,
und Sie bitten, uns zu helfen, soweit Sie nur irgend können. Ich habe Sie
vorher angerufen und gebeten, alles relevante Material bereitzulegen.«
»Immer mit der Ruhe.« Jens Anker sprach mit zusammengebissenen
Zähnen. Sie spürte seinen Widerwillen gegenüber Autoritäten.
»Und wie ich Ihnen am Telefon erklärt habe, bin ich Therapeut und
unterliege der Schweigepflicht.«
»Anna Gudbergsen ist tot.« Rebekka musste sich beherrschen, nicht zu
brüllen. »Ich bin mir sicher, dass sie Ihre Bereitschaft, mit uns
zusammenzuarbeiten, um den Fall aufzuklären, zu schätzen gewusst hätte.«
Jens Anker stand langsam auf und ging zu einem kleinen Schreibtisch
hinüber, wo er in seinen Papieren kramte, einige herauszog und Rebekka gab. Es
waren Notizen in einer schnörkeligen Handschrift, darunter fand sich auch eine
Auflistung der Zeiten von Annas Therapiestunden. Jens Anker ließ sich wieder
auf den Lehnstuhl fallen und seufzte tief.
»Ich weiß nichts über den Mord an Anna Gudbergsen.« Er zuckte
resigniert mit den Achseln, und ihr fiel eine kleine Taube auf seinem braunen
Arm auf, die diskret auf den obersten linken Bizeps tätowiert war.
»Warum war sie in Therapie?«
»Anna Gudbergsen ist zu mir gekommen, weil sie in einer tiefen Krise
steckte. Sie hatte ein paar schwer verdauliche Fakten über ihre Vergangenheit
herausgefunden.«
»Was hatte sie herausgefunden?«
Jens Anker zögerte kurz.
»Sie hatte herausgefunden, dass ihre Eltern nicht ihre biologischen
Eltern waren.«
Rebekka zuckte zusammen.
»Wie hat sie das herausgefunden?«, fragte sie und ballte angespannt
die Hände.
»Das hat sie mir nicht erzählt, aber ihre Eltern wussten nicht, dass
sie es herausgefunden hatte. Es war ein großer Schock für Anna. Sie fühlte sich
von ihnen hintergangen, richtiggehend verraten, mochte sie aber nicht mit ihrem
Wissen konfrontieren. Sie wollte sie schonen. Sie war überzeugt, dass es sie umhauen
würde, wenn sie es erführen. Sie steckte in einem tiefen Dilemma, weil es
gleichzeitig ihr sehnlichster Wunsch war, ihre richtigen Eltern zu finden«,
sagte Jens Anker, und sein Blick wanderte zu der Katze im Hof, die sich jetzt in
der Sonne schlafen gelegt hatte.
»Sie hat nicht gewusst, wer ihre biologischen Eltern waren?«
»Nein, das hat sie nicht.«
»Wie würden Sie ihre psychische Verfassung beschreiben?«
»Sie war ein sehr komplexer Mensch«, sagte Jens Anker und verweilte
einen Moment bei dem Satz. »Man würde sie vermutlich als verhaltensgestört bezeichnen,
also, sie suchte nach Grenzen, war narzisstisch und sehr kontaktfreudig. Was
für ein missbrauchtes Kind typisch ist.«
»Sie meinen, dass sie missbraucht wurde?«
»Genau, das meine ich.« Jens Ankers Blick suchte ihre Augen. »Sie
hat mir gern von all den Männern erzählt, mit denen sie Sex hatte. Sie hat
versucht, eine Reaktion
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