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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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die Treppe hinunterlaufen. Die Haustür knallt. Rebekka versucht, den
Fettfleck aus dem Kleid zu reiben. Es klingelt erneut an der Haustür, doch das
Geräusch wird von Rebekkas Herzschlag übertönt. Sie lässt von dem Fettfleck ab,
läuft zur Tür und öffnet. Die Tante schaut sie mit einem sonderbaren
Gesichtsausdruck an. Hinter ihr sammelt der Vater die Flaggen ein. Dann tritt
er zu ihnen und wirft Rebekka einen entschuldigenden Blick zu.
    »Jetzt kommt deine Mutter
herunter.«
    Etwas in ihr zerbricht. Es
ist erst zwei Stunden her, dass sie aus der Kirche nach Hause gekommen sind,
und zu ihrem Entsetzen wird ihr klar, dass sie den Glauben an Gott bereits
verloren hat. Sie hat in der Kirche zu Gott Ja gesagt, doch jetzt weiß sie mit
Sicherheit, dass es Ihn nicht gibt. Er ist ebenso abwesend wie alle um sie
herum. Tränen tropfen auf die Fußmatte und die Kieselsteine, die aus den
Flaggen in der Hand des Vaters gefallen sind.
     
    Kristian sah sie ruhig an.
    »Ich habe nie auch nur den Bruchteil
einer Sekunde an meinem Glauben gezweifelt. Gott ist hier.« Er zeigte auf sein
Herz, dann sagte er: »Die Frage sollten Sie besser Erik stellen.«
    »Das werde ich auch«, antwortete Rebekka schnell. »Aber verraten Sie
mir, was Sie eigentlich meinen?«
    Kristian zögerte kurz, bevor er fortfuhr: »Erik war schon immer ein
Fall für sich. Er ist ein Eigenbrötler, hat immer außerhalb der Familie
gestanden.« Kristian rieb sich die Augen. »Das ist schwer zu erklären, aber er
tut, was er für das Richtige hält, ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Wir
anderen, die Kirche und Gott, sind ihm gleichgültig.« Er sah sie müde an, als
handelte es sich um ein Dauerproblem, das der restlichen Familie die Energie
raubte.
    »Und bei Anna war das genauso?«
    Kristian nickte langsam.
    »Wo waren Sie in der Nacht zum Sonntag zwischen Mitternacht und drei
Uhr morgens?«
    Der letzte Rest Farbe wich aus seinem Gesicht, und seine Finger
umklammerten krampfhaft den Griff der Teetasse.
    »Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt. Ich war auf einem Treffen
bei einem aus unserer Gruppe, bei Mathias Holm Hansen. Wir waren zu fünft,
sechs Leute, und es war richtig nett. Ich bin ungefähr gegen zwei Uhr nachts
gegangen und mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, und das ist eine ganz andere
Richtung als der Fruerwald. Als ich nach Hause kam, habe ich ein Glas Wasser
getrunken und bin ins Bett gegangen.«
    Er sah sie mit großen unschuldigen Augen an.
    »Sie haben also kein Alibi für den Rest der Nacht?«
    Er schüttelte den Kopf, schnell und energisch, was in Rebekka ein
beunruhigendes Gefühl auslöste. Instinktiv wusste sie, dass er log. Sie
bedankte sich, zog ihren Mantel an, und Kristian stand auf und brachte sie zur
Tür. Er wollte sie gerade öffnen, als sie ihre Hand fest auf seine legte.
    »Ich habe Sie gesehen«, sagte sie und hielt seinen Blick fest. Erst
Verblüffung, dann Verwirrung, dann Schock.
    »Ich habe Sie gesehen«, wiederholte sie ruhig. »Am Dienstag sind Sie
im Wald pfeifend an der Stelle vorbeigegangen, an der Anna vor wenigen Tagen
ermordet wurde.«
    Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ein
Muskel zuckte unter Kristians linkem Auge, doch sonst zeigte sein Gesicht keine
Gemütsbewegung. Er sah sie lediglich stumm an.
    »Ich fand es schon ziemlich sonderbar, dass Sie dort pfeifend
entlanggegangen sind. Verdammt beunruhigend, um genau zu sein.« Rebekka
flüsterte jetzt.
    »Sie vergeuden Ihre Zeit«, sagte er ruhig und drückte die Klinke
herunter, sodass sich die Tür ein paar Zentimeter zum Treppenhaus hin öffnete
und kalte Luft hereinkam.
    »Ich hatte Blumen für Anna gekauft, aber als ich an der Stelle
vorbeikam, hatte ich das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, und habe mich
dann doch nicht getraut, sie hinzulegen. Ich hatte Angst, mich verdächtig zu
machen, deshalb habe ich es mir anders überlegt und mich verzogen«, erklärte
er.
    »Sie haben gepfiffen, Kristian«, beharrte Rebekka.
    Er richtete sich auf.
    »Ich hatte Angst«, antwortete er ruhig, »und wenn ich Angst habe,
pfeife ich, um mich zu beruhigen. Das habe ich schon immer getan. Fragen Sie
meine Familie.« Er öffnete die Tür zum Treppenhaus ganz. Aus einer der anderen
Wohnungen oben kam Musik.
    »Auf Wiedersehen.« Er nickte ihr höflich zu. Zum Abschied drückte
sie fest seine Hand.
    »Sie hören von uns. Noch etwas, Kristian, wussten Sie, dass Ihr
Großvater seine alten Golfschläger in einer unabgeschlossenen Laube

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