Vergeltung
soll
einmal ein christliches Mädchen heiraten. Wie ich auch.«
»Hat Ihr Bruder das auch so gesehen?«
»Erik ist schon immer speziell gewesen. Er ist immer seine eigenen
Wege gegangen.« Kristian rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Zum
ersten Mal schien er leicht unsicher.
»Vielleicht hätte Anna ja auch ein Teil Ihrer Gemeinde werden
können?«
Kristian lachte kurz und heiser auf.
»Ausgeschlossen. Anna war viel zu temperamentvoll. Sie hätte nie so
leben können wie wir. Niemals. Das haben wir alle gewusst.«
»Warum?«
»Anna war ein Weltkind, wie meine Mutter immer gesagt hat – und wir
in unserer Familie sind Gotteskinder. Wir möchten den Menschen gerne helfen,
den Glauben an Gott wiederzufinden. So war Anna nicht. Ihr waren die anderen
gleichgültig, sie hat sich mehr für sich interessiert. Das ist der
Unterschied.«
Kristian starrte sie mit blassem Gesicht an, und sie ahnte etwas
Schwelendes, Dunkles hinter der hellen Fassade.
»Sind Ihnen jemals Zweifel an Ihrem Glauben gekommen?«, wollte
Rebekka wissen, und Kristian sah sie überrascht an.
»Nie«, antwortete er kühl.
»Else, Else –
die Gäste stehen so gut wie vor der Tür, kommst du herunter?«
Der Vater steht vor der
geschlossenen Schlafzimmertür. Er klopft vorsichtig an, als sei die schwere
Holztür aus Glas und könne zersplittern, wenn sie auch nur dem geringsten Druck
ausgesetzt würde. Klopf, klopf. Immer wieder.
Rebekka kommt in ihrem
weißen Konfirmationskleid still aus dem Bad. Es schmiegt sich um ihren
schlanken Körper, ihre bloßen Füße stecken in weißen Ballerinas, obwohl das
Frühjahr gerade erst begonnen hat. Sie hat den Pony mit dem Lockenstab
bearbeitet, etwas blauen Lidschatten aufgelegt und den für diesen Tag gekauften
hellroten Lippenstift aufgetragen. Sie findet sich schön. Der große Pickel auf
der Stirn, der lange Zeit durchzukommen drohte, ist fast verschwunden und hat
einen diskreten roten Fleck hinterlassen. Sie hat ihn mit Clerasil abgedeckt.
Es könnte nicht besser sein.
Sie spürt ein
erwartungsvolles Gefühl im Bauch, als flögen Hunderte von Sommervögeln darin
herum. Heute ist ihr großer Tag. Die Vorbereitungen waren langwierig und
umständlich. Die Mutter hat geseufzt und gestöhnt über die Einkäufe und die Zubereitung
des Essens. Rebekka hat alles still in sich hineingefressen und ihr geholfen.
Sie hat Mineralwasser- und Bierkästen geschleppt, Kartoffeln geschält, Krabben
gepult und den Tisch gedeckt. Sie hat die zwanzig Tischkarten selbst gemacht,
sie aus weißem Karton ausgeschnitten und mit einem goldenen Stift in ihrer
schönsten Handschrift die Namen darauf geschrieben. Es kommt nur die Familie.
Alles ist fertig. Der Vater hat auf dem Kiesweg Flaggen aufgestellt. Das erste
Mal, seit Robin tot ist. Im Sommer sind es fünf Jahre.
Noch einmal will der Vater
mit seiner großen knochigen Hand fest an die Tür klopfen, doch noch bevor der
Knöchel die Tür erreicht, scheinen ihn die Kräfte zu verlassen, und es wird nur
ein vorsichtiges Anklopfen daraus. Es klingelt an der Haustür. Die ersten Gäste
sind da. Der Vater zuckt zitternd zusammen, er schrumpft vor ihren Augen.
»Else, Else, komm jetzt.«
Der Vater dreht schnell den Kopf, er spürt Rebekkas Anwesenheit. Sie sieht ihn
fragend an, und er zieht stumm die Schultern hoch und macht eine resignierte
Armbewegung.
»Lauf zu den Gästen
runter, Bekka. Ich sehe zu, dass Mutter kommt. Sie ist bestimmt nur ein wenig
müde von den ganzen Vorbereitungen.« Er spricht die Lüge mit einer Überzeugung
aus, die sie beide überrascht, und Rebekka springt die Treppe hinunter und
öffnet der Tante und dem Onkel die Tür.
»Herzlichen Glückwunsch,
mein Mädchen.« Der Onkel nimmt sie fest in den Arm, und die Tante gibt ihr
einen nassen Kuss auf die Wange.
»Wo sind deine Eltern?«
Die Tante sieht sich fragend um.
»Mutter liegt oben.«
Rebekka spürt, wie ihr die Röte in die Wangen schießt, der Satz sitzt ihr im
Hals fest.
»Ach, ja.« Die Tante dreht
resolut auf dem Absatz um und stapft die Treppe hoch. Der Onkel sieht Rebekka
verlegen an. Dann steigt beiden ein verbrannter Geruch in die Nase, und sie
stürzen in die Küche. Der Braten ist oben schwarz geworden. Rebekka zieht ihn
aus dem Ofen und kleckert sich Bratfett auf das weiße Kleid. Der Onkel öffnet
ein Fenster und verkündet, dass er die anderen holen geht.
Die leisen und erregten
Stimmen von Mutter und Tante dringen durch das Haus nach unten. Sie hört
jemanden
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