Vergeltung
Abteilung hinunter.
—
Alles um ihn herum war
weiß. Als wäre er mit weißem Schnee überzogen wie die norwegischen Berge. Er lächelte
bei dem Anblick. Er erinnerte ihn an die Klassenfahrt in der siebten Klasse ins
Landschulheim. Es war sein erster Auslandsaufenthalt. Bis auf ihn hatten sich
alle anderen Schüler auf der Fähre übergeben. Er hatte still dagesessen und das
tosende Meer beobachtet, die gewaltigen, schwarzen Wellen, die gegen den Bug
schlugen, während er seinen Schlafsack und seine kleine Stofftasche fest
umklammert hielt. Es war eine schöne Klassenfahrt gewesen, obwohl er als
Einziger keine richtigen Skisachen dabeigehabt hatte. Die anderen Kinder hatten
über ihn gelacht, als er in Jeans und Daunenjacke auf der Piste auftauchte.
Anfangs war er dauernd hingefallen, und die Jeans war nass geworden und hatte
an den Oberschenkeln geklebt, die vor Kälte steif gewesen waren. Er hatte den
Schmerz in sich hineingefressen, war immer wieder den steilen Berg hinaufgestolpert,
bis er, ohne zu fallen, hinunterfahren konnte. Am Abend hatte er mehrere
Stunden in der Sauna gesessen, bevor das Gefühl in den Beinen zurückgekehrt
war. Aber es war das Ganze wert gewesen.
Das weiße Gefühl breitete sich
erneut in ihm aus, nahm von seinem Körper Besitz und machte ihn schwerelos, als
würde er hoch oben in der Luft schweben, und ein unbekanntes Gefühl von Frieden
erfüllte ihn.
—
Gert Gudbergsens Wangen
hatten wieder Farbe bekommen. Er sah bedeutend besser aus als das letzte Mal.
Die Tageszeitung lesend saß er aufrecht in einem gestreiften Morgenmantel im
Bett. Er begrüßte Rebekka freundlich, die einen Stuhl nahm und sich an das Kopfende
des Betts setzte.
»Ich hoffe, Sie kommen mit guten
Neuigkeiten. Haben Sie Alex Pedersen gefasst?«
»Noch nicht, aber es kann nicht mehr lange dauern«, antwortete sie.
»Doch wenn wir ihn finden, ist das noch lange nicht gleichbedeutend damit, dass
der Fall aufgeklärt ist. Leider. Wir haben keine Beweise, die ihn direkt mit
dem Mord an Ihrer Tochter in Verbindung bringen.«
Gert Gudbergsen runzelte störrisch die Stirn.
»Ich verstehe das nicht. Aber okay, ich gehe einmal davon aus, dass
Sie die Ermittlung unter Kontrolle haben. Was haben Sie übrigens mit meiner
lieben Frau gemacht?« Der letzte Satz kam in einem sarkastischen Ton.
»Genau diese Frage wollte ich Ihnen gerade stellen. Ich habe Ihre
Frau seit gestern Vormittag nicht mehr gesehen und vergebens versucht, sie zu
erreichen. Haben Sie eine Idee, wo sie sein könnte?«, fragte Rebekka und sah
ihn besorgt an.
Er schüttelte langsam den Kopf und zuckte die Schultern. Rebekka
erzählte von ihrem letzten Gespräch mit seiner Frau über das verschwundene
Dokument. Gert Gudbergsen nickte.
»Sanna hat mich gestern angerufen und um den Code gebeten. Ich habe
ihn ihr gegeben, und kurz darauf hat sie noch mal angerufen und erzählt, dass
das Dokument verschwunden sei. Ich verstehe das einfach nicht, das Dokument hat
in dem Safe gelegen, seit wir in das Haus gezogen sind.«
»Kann es irgendwie in Annas Hände geraten sein?«, fragte Rebekka und
sah Gert Gudbergsen ernst an, der entschieden den Kopf schüttelte.
»Das ist vollkommen ausgeschlossen. Sie ist nie ins Büro gegangen.
Ich glaube nicht einmal, dass sie gewusst hat, dass ich ganz hinten im Sekretär
einen Safe habe. Und den Code verwahre ich hier.« Er lächelte leicht und zeigte
auf seinen Kopf. »Im Übrigen ist mir völlig unklar, wieso dieses Dokument für
die Aufklärung dieses Verbrechens von Bedeutung sein soll. Sie sollten Ihre
Ressourcen besser vernünftig einsetzen«, sagte er mürrisch und faltete die
Zeitung zusammen.
»Gert, es steht eindeutig fest, dass Anna gewusst hat, dass Sie und
Sanna nicht ihre leiblichen Eltern waren.«
Gert Gudbergsen wurde blass, und Rebekka legte ihm beruhigend eine
Hand auf den sommersprossigen Arm.
»Ich weiß nicht, wie sie das herausbekommen hat, doch
höchstwahrscheinlich hat sie das Dokument gefunden und an sich genommen. Wir
wissen auch, dass sie im Juli drei Tage in Schweden war.«
Gert Gudbergsen sah aufrichtig verblüfft aus.
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie in Schweden war. Ich habe
geglaubt, dass sie zusammen mit Mia und Katja ein Ferienhaus gemietet hatte,
das hat sie uns zumindest gesagt.« Er hielt kurz inne. »Was … den Kauf … von
Anna angeht …« Das erste Mal sah er sie nervös an. »… dafür können wir doch
nicht mehr strafrechtlich belangt werden, oder?«
Sie schüttelte
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